Es ist ein sonniger Freitagnachmittag an dem ich mich mit Frank Roth, dem Schatzmeister des Behindertenbeirats Wolfsburg (kurz BBR), in den Räumen der EUTB (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung) treffe. Der BBR ist Träger der Teilhabeberatung und so sind Nicole Tietz und Brid Rehtfeld von der Beratung ebenfalls dabei und helfen mir einen tieferen Blick in das Thema Inklusion und die Beratungsarbeit zu gewinnen. Ich werde warmherzig in den Räumen empfangen, wo sonst Menschen mit Behinderung und deren Angehörige kostenfrei und unabhängig beraten werden.
Der Behindertenbeirat Wolfsburg und seine Arbeit.
Unweigerlich beginnen wir unser Gespräch mit dem Thema COVID-19, denn der diesjährige Familienlauf fällt pandemiebedingt aus. Schon das zweite Jahr hintereinander findet das Sportereignis am Allersee nicht statt. Und auch sonst fährt der BBR in diesem von Corona geprägten Jahr nicht nur mit Handbremse, sondern musste eine gefühlte Vollbremsung hinlegen, erzählt mir Frank Roth. Auch weitere beliebte Events mussten ausfallen, wie der Wheelchair Skating Workshop mit David Lebuser, der über die Stadtgrenzen von Wolfsburg hinaus bekannt ist und viele Wheelchair-Skater in den Skatepark am Allersee lockt.
Beeinträchtigung nachempfinden
Und auch der Workshop „Hightech Inklusive“ kann nicht in der gewohnten Häufigkeit stattfinden. Bei der Aktion bietet der BBR Unternehmen, Institutionen und Vereinen einen Einblick in den Alltag von Menschen mit einer Beeinträchtigung unter anderem mit Hilfe eines Simulationsanzuges, der seinem Träger neben einem eingeschränkten Sichtfeld, ein eingeschränktes Hörvermögen oder verminderte Kraft beschert. Durch spezielle Brillen, Kopfhörer, Gewichte oder Handschuhe kommt man sehr nah an die Einschränkungen heran, die Menschen durch Alter, angeborene oder im Laufe des Lebens erworbene Beeinträchtigung täglich erfahren. So müssen beispielsweise gestandene Busfahrer*innen ganz schön schlucken, wenn sie im Simulationsanzug einen Bus betreten, berichtet Frank Roth. Wie ist es so, nach Kleingeld zu greifen, mit Fingern, die nicht mehr gut spüren oder halten können und wie fühlt sich eine starke Bremsung an wenn man den Griff im Bus nicht gut festhalten kann? Wer selbst einmal in der Lage eines Menschen mit Beeinträchtigung war, der sieht so manches mit anderen Augen und das ist es, was der Workshop „Hightech Inklusive“ bewirken soll: Ein Verständnis für das Gegenüber, was über den Workshop hinaus halten soll und was die Teilnehmer mitnehmen und auch weitertragen sollen.
Trotz ausgefallener Veranstaltungen in der Stadt oder bei Unternehmen und Vereinen, finden glücklicherweise weiterhin Gespräche des Behindertenbeirates mit möglichen Sponsoren und Befürwortern statt und auch die Beratungen und die Beiratsarbeit wird fortgeführt. Der Behindertenbeirat wird andernorts politisch gewählt, in Wolfsburg aber ist es ein eingetragener Verein (e.V.). Der BBR ist in drei wichtigen Gremien Wolfsburgs bereits vertreten und steht für die Interessen von Menschen mit Beeinträchtigung und Behinderung In den Bereichen Bau, Soziales sowie Sport ein.
Vieles hat sich schon in eine positive Richtung bewegt, nicht zuletzt seit der Änderung des BTHG (Bundesteilhabe Gesetz) im Jahr 2020. Seitdem ist die Förderung und die Verteilung der Gelder personenzentriert und die Leistungen werden nicht direkt an eine Einrichtung gegeben. Nun können Betroffene ihr Leben viel selbstbestimmter gestalten und Leistungen von Unternehmen oder Verbänden ihrer Wahl beziehen.
Assistenzhundfreundliche Stadt
Auch innerstädtisch tut sich künftig einiges. Ab September 2021 soll Wolfsburg zur assistenzhundfreundlichen Stadt werden. Das erleichtert den Zutritt für Assistenzhunde, die einen Menschen mit Beeinträchtigung begleiten, zum Beispiel im Krankenhaus oder im ÖPNV. Doch es gibt weiterhin vieles zu optimieren, bis man echte Teilhabe und Inklusion in Wolfsburg vorfindet. Daher ist die Arbeit des BBR enorm wichtig, gerade in politischen Belangen. Frank Roth erzählt mir, dass die Zusammenarbeit mit der Stadt Wolfsburg für den BBR von guter Qualität ist, nicht zuletzt, weil Stadträtin Monika Müller diese persönlicher und dadurch angenehm gestaltet. Frank Roth spricht wertschätzend über die Dezernentin für Soziales und Gesundheit, Klinikum und Sport. Man ist offen für Gespräche und bereit, sich auf Augenhöhe zu begegnen. Dennoch fehlt es zum Beispiel an einer/m Inklusionsbeauftragten, die/der eine ähnliche Stellung in der Stadtverwaltung bekleidet, wie der/die Gleichstellungsbeauftragte/r, erzählt mir Frank Roth weiter.
Ich frage in die Runde, ob man denn an der Gesellschaft merke, dass sie sich verändert, vielleicht offener wird und bekomme prompt einen positiven Einblick von Nicole Tietz.
Ja, die Menschen sind aufgeschlossener was das Thema Inklusion und Teilhabe betrifft. Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung werden nicht mehr einfach so abgetan oder Abseits gestellt. Viele bemühen sich bereits im persönlichen Umfeld, dennoch muss auch weiterhin offen und ehrlich über Probleme gesprochen und gemeinsame Lösungen erarbeitet werden. Denn auch wenn sich Gesellschaft und Technik weiterentwickeln und vieles heute durchaus möglich ist, was vor einigen Jahren noch undenkbar war, so müssen alte Strukturen und Institutionen sich ebenfalls verändern, umstrukturieren und den Wandel mitmachen. Menschen mit Behinderung haben nun mehr Möglichkeiten mit Hilfe von modernen Hilfsmitteln ihren Alltag nicht nur zu bewältigen, sondern ihn optimaler zu gestalten. Sie können sogar neben dem Alltag Erfüllung in Kunst, Kultur und im Sport finden oder gar in den Leistungssport einsteigen. Gedanklich schweife ich kurz ab und freue mich auf die Paralympischen Sommerspiele, die vom 24. August bis 5. September 2021 in Tokyo stattfinden.
Doch dann kehren die Gedanken wieder in die Räume der Teilhabeberatung und ich denke mir, dass auch die Barrieren in den Köpfen von Menschen und alteingesessenen Institutionen weichen müssen, damit wirklich echte Inklusion gelebt werden kann. JK