Dirk Lattemann ist Theaterfreund, Intendant und Geschäftsführer des Scharoun Theater Wolfsburg und seit 2020 ist er Wahl-Wolfsburger. Gar nicht weit weg, in Wolfenbüttel geboren, ist Dirk Lattemann hier in der Region also seit Kindertagen zu Hause.
Für ihn ist Freundschaft ausschlaggebend. Und so sagen doch auch die Wissenschaftler, wer gute Freunde hat wird seltener krank, lebt länger und vor allem glücklicher.
Freundschaft ist essenziell.
Ich empfand es ebenso als Heimspiel mit jemandem vom Theater über das Thema Freundschaft zu sprechen, war ich doch selbst, nach meinem Abitur, eine Zeit am Landestheater in Eisenach beschäftigt. Auch später in der Jugendhilfe, war das Theater immer wieder Bestandteil meiner Arbeit. Einen Tanz-Workshop mit Jugendlichen unter dem Motto „Theater statt Theater“ habe ich damals ins Leben gerufen und hier in Wolfsburg ein Theaterprojekt geleitet. Heute noch sind meine Theaterfreunde spezielle Freunde. Wunderbar speziell. Ich denke oft an diese Zeit zurück und tauche noch gerne in die Theaterwelt ein. Jetzt habe ich wieder einmal kurz die Gelegenheit.
Was bedeutet Freundschaft für Sie, Herr Lattemann?
„Freundschaft ist essenziell. Jeder Mensch braucht tiefe Verbindungen zu anderen, auch um sich selbst zu spüren und zu reflektieren. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Einsamkeit macht ihn krank. Freundschaften lassen ihn erblühen und wachsen.“
Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ ist jetzt im Februar 2022 bei Ihnen im Scharoun Theater zu sehen. Bezogen auf das kommende Stück, das als Gastspiel vom Berliner Ensemble auf Ihrer Bühne gespielt wird – was hat es hier mit dem Thema Freundschaft auf sich?
„Die Freundschaft zwischen Tiger Brown und Mackie Messer zeigt ganz deutlich, dass sich Lebenswege ganz unterschiedlich entwickeln können, das tief verwurzelte Gefühl der Freundschaft aber bleiben kann. Auf der einen Seite der Verbrecher, auf der anderen Seite der Polizist.“
Der Intendant Dirk Lattemann, der einst selbst als Schauspieler erfolgreich war, beschreibt es abschließend mit folgendem Zitat: „Obwohl das Leben uns, die Jugendfreunde, mit seinen reißenden Fluten auseinandergerissen hat, (…), hat unsere Freundschaft alles überdauert.“
Die Dreigroschenoper, die als „Versuch in epischem Theater“ beschrieben wird, ist bereits 1928 in Berlin uraufgeführt worden. Es hat wohl niemand damit gerechnet, dass das Stück solch eine Erfolgsgeschichte schreibt und zum größten Theatererfolg der zwanziger Jahre wird.
Zwei Gauner geraten aneinander, weil die Kinder befreundet, in diesem Fall verliebt sind. Inwieweit glauben Sie ist das Thema „ungewollte Freundschaft“ heute noch in Familien verbreitet?
„In jedem Fall weniger. Es gibt heute viel weniger Klassenunterschiede als früher. Freundschaft ist also überall möglich. Wenn allerdings Intoleranz gegenüber anderen ins Spiel kommt, dann können Freundschaften natürlich auch heute noch „ungewollt“ sein.“ „Leider“, fügt Lattemann hinzu.
Und hier ist die Theaterwelt schon lange offener als manch andere Bereiche unserer Gesellschaft, vermute ich.
Herr Lattemann, nach meiner Erfahrung ist gerade die Arbeit am Theater sehr nah und intensiv. Wie wichtig sind Ihnen Freundschaften im beruflichen Umfeld?
Ein gutes Arbeitsklima ist überall wichtig, findet Dirk Lattemann. „Natürlich ist die Theaterwelt speziell und das lieben auch alle, die hier arbeiten. Allein das verbindet ungemein“, erklärt er weiter und ich weiß genau wovon er spricht.
„Freundschaften sind immer privat, können aber im Arbeitsumfeld entstehen. Voraussetzung für gelungene Arbeit ist Freundschaft allerdings nicht.“
Wieviel Freundschaft verträgt ein Ensemble?
„Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Soviel oder auch so wenig alle Beteiligten zulassen wollen“, antwortet Dirk Lattemann. Und ich denke bei dem Satz, ich hätte es selbst nicht besser zusammenfassen können. Das gilt wohl für jedes Team. Und hört man doch immer wieder den Satz: „Wenn aus Kollegen Freunde werden oder aus Freunden Familie.“
Wie bereits erwähnt steht am 17., 18. und 19. Februar 2022 „Die Dreigroschenoper“ auf Ihrem Programm. Die Neuinszenierung wurde sogar im letzten Jahr zu einer der besten Inszenierungen Europas gekürt.
Das Thema Gastspiel ist weit verbreitet. Wie entstehen solche Verbindungen und spielt auch hier das Thema Freundschaft eine Rolle?
„Die Theaterwelt ist klein, die Gastspieltheaterwelt noch kleiner“, sagt der heutige Indendant. „Verbindungen entstehen automatisch aus den Verabredungen, die man tagtäglich miteinander trifft. Unsere Arbeit ist vor allem von großem Vertrauen und Respekt geprägt. Auch daraus können sich freundschaftliche Bande entwickeln.“
Freundschaft gibt Sicherheit
Die Theaterwelt empfinde ich als etwas ganz besonderes, irgendwie ein oft magischer Wohlfühlort mit tollen Menschen, in der sich Freundschaft entwickeln kann oder Freunde ihre Zeit gemeinsam verbringen.
Ich freue mich auf noch viele schöne Stunden im Theater – mit meinen Freunden, auf die ich mich verlassen und mit denen ich Sorgen vergessen oder diese eben auch reflektieren kann.
„Gerade in Krisenzeiten muss sich jeder auf sein nahes Umfeld verlassen können“, sagt Dirk Lattemann. „Diese Sicherheit, mich auf meine Freunde verlassen zu können, sorgt dafür, dass ich das Leben im Jetzt viel gelassener gestalten kann.“ Und so ist es. Mit Freunden gehen wir auch durch diese und kommende herausfordernde Zeiten ein ganzes Stück leichter. Freundschaft ist essenziell.