Die e-Mobility-Station Wolfsburg hat einen historischen Wert: Sie steht auf dem Gelände der ehemaligen ESSO-Tankstelle, die im amerikanischen Diner-Stil eingerichtet bereits 1951 zu den schönsten der Region gehörte. Nach deren Schließung wollten Wolfsburg und Volkswagen die Besonderheit der Tankstelle unbedingt beibehalten und übertrugen der Wolfsburg AG den Auftrag, diese in eine e-Mobility-Station umzuwandeln. FLOW WOLF-Autorin Dora Balistreri begab sich in einem Gespräch mit dem Leiter Automobilforschung der Wolfsburg AG, Dr. Gerrit Schrödel, auf Spurensuche nach der Mobilitätszukunft in Wolfsburg.

von Dora Balistreri

Herr Dr. Schrödel, welche ist die Besonderheit dieses Gebäudes?

Dr. Gerrit Schrödel Leiter Automobilforschung Wolfsburg AG
Dr. Gerrit Schrödel stand Dora Balistreri Rede und Antwort. /Foto: Wolfsburg AG

Wir haben die e-Mobility-Station rund um ein denkmalgeschütztes Gebäude geschaffen. Das machte den Umbau nicht einfacher. Unser Ziel war es, die Einzigartigkeit dieses Ortes beizubehalten und sie mit der Welt des 21. Jahrhunderts in Einklang zu bringen. Wenn man sich heute auf dem Gelände umschaut, erkennt man einerseits die typische Architektur der 1950er Jahre. Gleichzeitig aber findet man Themen wie vernetzte und intelligente Mobilität, Carsharing sowie regenerative Energiegewinnung. Wir haben es also geschafft, einen historischen Ort in Wolfsburg nachhaltig und innovativ zu nutzen. Für uns ist diese Tankstelle ein echtes Juwel.

Sie sind Leiter Automobilforschung in der Wolfsburg AG. Was beinhaltet Ihr Verantwortungsbereich?

Die Wolfsburg AG ist eine Public Private Partnership zwischen der Stadt Wolfsburg und Volkswagen. Wir engagieren uns über verschiedene Themenfelder für die Schaffung und Sicherung von Lebensqualität und Arbeitsplätzen, um die Attraktivität für den Standort Wolfsburg und Umgebung zu steigern. Die wachsende Zahl an Arbeitsplätzen in den letzten Jahren hat aber z.B. auch ein verstärktes Verkehrsaufkommen mit sich gebracht. Um die Lebensqualität dabei zu erhalten, ist es unsere Aufgabe, uns mit Mobilitätsthemen zu beschäftigen und Lösungen zu erarbeiten.

Gibt es ein mit der e-Mobility-Station vergleichbares Projekt auch in anderen Städten Deutschlands?

An immer mehr Orten sind E-Zapfsäulen zu finden. Jedoch bietet die e-Mobility-Station weit mehr als nur das Tanken von Elektrofahrzeugen: Durch die Geothermie-, die Photovoltaik- und die City-Windkraftanlage erzeugen wir regenerative Energie und versorgen damit unser 2.200 Quadratmeter großes Grundstück zum Teil selbst. Im Bistro „La Volta“ kann der Besucher einen kurzen Aufenthalt einlegen, seinen Laptop aufklappen, sich im WLAN einloggen und ungestört arbeiten, während sein Elektroauto an der Schnellladesäule angeschlossen ist. Ein „Volkswagen e-up“ braucht in der Regel nur 20 Minuten, um zu 80 Prozent aufgeladen zu sein. Ebenfalls stehen auf dem Gelände eCar- und eBike-Sharing zur Verfügung. Zudem sind wir ein Veranstaltungs- und Ausstellungsort. Unsere Räumlichkeiten können beispielsweise für Geschäftsgespräche und kreative Workshops gebucht werden, inklusive modernster Tagungstechnik. Die Ausstellung informiert Besucher rund um das Thema Mobilität in der Region und zeigt ausgewählte Exponate. Die e-Mobility-Station bietet also weit mehr als nur elektrisches Tanken.

Was beinhaltet die Automobilforschung der Wolfsburg AG? Sieht die Zukunft fliegende Autos vor?

Aufgeladen durch die eCity Wolfsburg
Aufgeladen durch die eCity Wolfsburg

(lacht) Fliegende Autos vielleicht noch nicht, aber die Fahrzeuge werden in Zukunft schon viel mehr können als bisher. In der Automobilforschung der Wolfsburg AG forschen wir nicht selbstständig am Auto. Bei uns geht es vielmehr um Mobilität als Ganzes und deren prototypische Umsetzung. Zukunftsvisionen sind aus technischer Sicht meist weniger problematisch. Die Herausforderung liegt darin, die neue Mobilität in unser alltägliches Leben zu integrieren. Den Fortschritt hier vor Ort spürbar zu machen, daran arbeiten wir. Insbesondere geht es darum, die Digitalisierung und die Verfügbarkeit vielfältigster Informationen zu nutzen. Dadurch verändert sich unser Leben insgesamt und für die Organisation unserer Mobilität ergeben sich daraus Chancen. Dabei stellen sich Fragen wie: Wird unser Auto bald so intelligent sein, dass es uns autonom zu unserem Ziel fahren kann? Werden wir bald viel mehr Platz in der Innenstadt haben, weil unsere Autos vor den Toren der Stadt stehen und erst durch einen Klick auf das Smartphone uns von unserer jeweiligen Position abholen? Ich würde mir nicht anmaßen, eindeutig sagen zu können, wie unsere Mobilität in Zukunft aussehen wird. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie sich schon in den nächsten 10 bis 20 Jahren rasant verändern wird.

Werden Ihrer Meinung nach öffentliche Verkehrsmittel in Zukunft an Bedeutung verlieren?

Nein, aber die öffentlichen Verkehrsmittel und das private Fahren werden neu kombiniert. Individuelle Mobilitätswünsche nehmen dabei eine wichtige Rolle ein und es entsteht eine neue Anspruchshaltung. Ich denke, es wird nicht mehr darum gehen, dass wir uns nach dem statischen Fahrplan eines Busses oder einer Straßenbahn richten. Viel mehr wird sich Mobilität durch intelligente Vernetzung flexibel unseren persönlichen Bedürfnissen anpassen und uns für die jeweilige Route einen intermodalen sowie reibungslosen Weg definieren.

Wie verstehen Sie die Aufgabe der e-Mobility-Station für die Zukunft?

e-mobility Station Wolfsburg eT Postbus
eT ist kein Außerirdischer, sondern ein Prototyp der Volkswagen Konzernforschung / Foto: Matthias Leitzke

Unsere Aufgabe ist es, den rasant voranschreitenden Wandel, zu begleiten, passende Projekte zu initiieren und den technischen Fortschritt auf der e-Mobility-Station öffentlich zu vermitteln. Dafür stellen wir in unserem Gelände beispielsweise aktuell den „eT“, einen Prototyp der Volkswagen Konzernforschung, aus. Der Elektrotransporter für die Paketzustellung kann fahrerlos fahren und erleichtert dem Postboten so den Job. Wir bieten dem interessierten Besucher einen Blick in die Zukunft, der über die Theorie hinausgeht. Ich persönlich finde, es ist wesentlich eindrucksvoller die Zukunft zu sehen, als in Büchern über sie zu lesen. Auch das Thema Vernetzung ist an der e-Mobility-Station direkt erlebbar, indem wir zeigen, wie eine Smart City in Zukunft aussehen kann: Vom öffentlichen WLAN bis zum intelligenten Stromnetz, dem Smart Grid. Erst aus vielen Puzzleteilen entsteht ein Mobilitätssystem, das den Ansprüchen der Informationsgesellschaft entspricht. Fahrzeuge werden schon in naher Zukunft durch intelligente Vernetzung miteinander kommunizieren können – ein weiterer Informationslieferant. Bei so vielen Informationen braucht der Nutzer etwas, was ihm die Übersicht gewährleistet. Dafür haben wir UMA entwickelt. UMA heißt Urban Mobility Assistance. Es handelt sich um ein Assistenzsystem, das hier an der e-Mobility-Station zeigt, wie der Nutzer den besten Weg, den passenden Parkplatz oder Mitfahrer findet und so die Effizienz des Verkehrssystems steigert.

Das ist ja wunderbar. Hilft UMA auch bei der Erkennung von Blitzern und Radarfallen?

UMA als Teil der Smart City Wolfsburg
UMA steht für Urban Mobility Assistance

(lacht) Das wäre für die meisten der Autofahrer bestimmt wünschenswert. Aber Spaß beiseite: Das ist nur der Anfang. Wir werden in den nächsten Jahren weiter an Lösungen arbeiten, die eine reibungslose Mobilität ermöglichen. Mein Job bleibt spannend und ich freue mich, beim Wandel der Mobilität dabei zu sein!

Die Leidenschaft zu Ihrem Beruf merkt man Ihnen an! Denken Sie, dass wir bald in einer Welt leben werden, in der wir vor lauter Reibungslosigkeit und technischem Fortschritt in unserer Freiheit eingeschränkt werden?

Mit unserer heutigen Informationsgesellschaft geht eine kontinuierliche Effizienzsteigerung einher. Das bedeutet aber nicht, dass wir zum effizienten Sklaven des Systems werden. Ganz im Gegenteil: Ich glaube, wir müssen lernen, im Einklang mit der Technologie zu leben, um unser Leben selbst bestimmen sowie die Freiräume nach Belieben gestalten zu können. Der Wandel schleicht sich an. Das ist ein Prozess und trifft nicht wie ein Big Bang ein. Wir Menschen haben uns für den Weg des Fortschritts entschieden. Dennoch sollten wir verantwortungsbewusst damit umgehen. Diesen Gedanken der Nachhaltigkeit hat sich auch die e-Mobility-Station auf die Fahne geschrieben.

Die e-Mobility-Station begreift sich selbst als offener Ort, der von allen Bürgern Wolfsburgs genutzt und besucht werden kann. Was ist das Verrückteste, was Sie sich hier vorstellen können?

Bistro La Volta auf der e-mobility-Station Wolfsburg
Im Bistro La Volta kann man sein Smartphone aufladen, Panini essen und arbeiten während das e-Auto auflädt.

Wie wäre es, wenn hier bei uns mal eine Hochzeit gefeiert würde? Immerhin ist Wolfsburg ja eine sehr autoaffine Stadt. Unsere Location kann für alle möglichen Zwecke gemietet werden. Wer weiß, vielleicht werden wir das hier noch erleben – eine Hochzeit in der Tankstelle! (lacht)

Erfahre mehr über den Ort der Zukunft

Ausstellung & Bistro La Volta:
täglich Mo. – Fr.: 11:00 – 16:00 Uhr
An Wochenenden und Feiertagen Nutzung für geschlossene Veranstaltungen (nach Anmeldung)
24 Stunden, 7 Tage kostenfreie Nutzung der Ladesäulen

Website:
www.e-mobility-station.com
www.la-volta.de

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