Seit seiner Gründung im Jahre 1938 bis in die frühen Nachkriegsjahre hinein war Wolfsburg mit Geschäften nur sehr spärlich ausgestattet, das gleiche galt für Gaststätten. 

Futter für die kaufhungrigen Wolfsburger

Foto: Fritz Heidrich / IZS, Stadt Wolfsburg
Foto: Fritz Heidrich / IZS, Stadt Wolfsburg

Der Weg zum VW-Werk führte bis zur Eröffnung des Fußgängertunnels 1966 über eine Holzbrücke, die die Eisenbahnlinie sowie den Mittellandkanal überquerte. Um zu dieser Brücke zu gelangen, gingen täglich tausende von Menschen aus den Stadtteilen Steimkerberg, Schillerteich und Stadtmitte auf unbefestigten Wegen durch die heutige Kaufhofpassage, etwa den Verlauf der Kantallee sowie den Schachtweg entlang. Auf beiden Seiten der Brücke führte eine Treppe hinunter, über die man auf beide Seiten der Gleise gelangen konnte. Dort unten standen zwei ungeheizte Baracken, das war bis 1957 der Wolfsburger Bahnhof. Am 26. August 1957 wurde der langersehnte Hauptbahnhof eingeweiht. Unmittelbar nach der Währungsreform 1948 kam Schwung in Handel und Gewerbe. Bereits 1949 eröffneten Ladengeschäfte entlang des Arbeitsweges vieler VW-Mitarbeiter in einem breitgefächerten Branchenmix, wie Lebensmittel, Molkereiprodukte, Fischgeschäft, Fleischerei, Bäcker, Textilien, Schuhe, Bücher und Schreibwaren, Elektroartikel, Fahrräder, Möbel, Tapeten, Uhren und Schmuck, Parfümerie, Kurzwaren, dann auch Dienstleister wie Schuster, Wäschedienst, Reisebüro, Geschäftsstelle der Wolfsburger Nachrichten, Reisebüro und die Eisdiele Olivier ihre Türen – vermehrt im Schachtweg, in der heutigen Kaufhofpassage und dem Kaufhof. Gut gefüllte, schön dekorierte und beleuchtete Schaufenster sowie das reichhaltige Warenangebot begeisterten die kaufhungrigen Wolfsburger. Die Fischhalle am Kaufhof (heute The Other Place) war etwas Besonderes. Durch das Schaufenster konnte man in ein Bassin mit lebenden Fischen schauen und sich aussuchen, welchen davon man haben wollte. Im kleinen Laden der Bäckerei Cadera standen zwei winzige Tische, ein Mini-Café, so etwas kannte man gar nicht zu dieser Zeit. Und bei Lebensmittel-Tengelmann bekamen die Kinder zwei Himbeerbonbons geschenkt. Heutzutage nicht vorstellbar, dass das die kleinsten Bürger begeisterte.

Kultkneipen

Renate Reichelt / IZS, Stadt Wolfsburg
Foto: Renate Reichelt / IZS, Stadt Wolfsburg

Aber auch Kneipen kamen hinzu. Den Anfang macht die Altdeutsche Bierstube – die damals Bierstube Schlieffenstraße/Ecke Richthofenstraße hieß –  an der Ecke der heutigen Straßenbezeichnungen Schillerstraße und Goethestraße, die 1942 eröffnete. Später kamen im Kaufhof das why not (seit Ende der 50er Jahre heißt es Alt Berlin) rechts vom Torbogen aus der Schillerstraße kommend, die Coquille (ehemals Tiffany, heute K-Four Club) nebenan und das Napoleon (heute Sushi Bar Viet Express) neben der Fischhalle hinzu. Aber auch im Schachtweg stand eine Kneipe, die die Wolfsburger noch heute in guter Erinnerung haben und die schon zu frühen Zeiten eine Institution in Wolfsburg war: Die Bahnhofsgaststätte von Margarete Schrader. Direkt hinter der Brücke auf dem Schachtweg lag die beliebte Kultkneipe, die alle nur liebevoll „Mutti Schrader“ nannten. Sie befand sich an der Ecke Schachtweg und Bahnhofstraße. Die Bahnhofstraße ist an der Stelle heute noch sichtbar wenn man an den VW-Parkplätzen vorbeifährt und vor den Bahngleisen links oder rechts abbiegen muss, um nach freien Plätzen zu suchen. Damals befand sich dort kein großer Parkplatz, sondern die Baracke von Mutti Schrader, eine Wartehalle und eine Fahrkartenausgabe. Gegenüber befand sich ein Schuppen, wo die VW-Mitarbeiter ihre Fahrräder und Mopeds während der Arbeitszeit parkten. Zurück zu Mutti Schrader: Sie hatte ein großes Herz für ihre Gäste, war trinkfest und konnte sich durchsetzen. Wenn ein Gast schon deutlich betrunken war, gab es nichts mehr. Bis Ende der 1950er Jahre wurden Löhne und Gehälter in bar in Lohntüten ausgezahlt, und zwar am 8., 18. und 28. jeden Monats. An diesen Tagen standen viele Frauen, insbesondere nach der Frühschicht, mit ihren Kindern am Fuße der Brücke, um zu verhindern, dass ihre Männer bei „Mutti Schrader“ einkehrten, dort hängen blieben und schon mal einen Teil des Lohnes vertranken. Die Kneipenbesucher, im übrigen auch arbeitende Frauen, spielten an Geldautomaten oder setzten sich an einen Tisch und spielten Skat. Der Verlierer musste eine Runde Bier ausgeben. Die kostete damals 1,05 DM und für viele gleichzusetzen mit dem Stundenlohn. Mit der Eröffnung des Fußgängertunnels 1966, öffnete auch die Tunnelschänke, die es bis heute immer noch gibt. In die heutige „Kultkneipe“ kehrten viele Arbeiter direkt nach dem anstrengenden Tag ein.

Die längste Theke Wolfsburgs

Renate Reichelt / IZS, Stadt Wolfsburg
Foto: Renate Reichelt / IZS, Stadt Wolfsburg

Mit der Eröffnung der mittleren Porschestraße verlor der Kaufhof zunehmend an Bedeutung, nachdem dieser dem Schachtweg viele Besucher weggenommen hatte. Viele Ladeninhaber versuchten, auf der Porschestraße einen neuen Standort zu finden. Nach und nach wandelte sich der Kaufhof in eine Kneipenmeile, die „längste Theke Wolfsburgs“. Eine ganze Reihe von Restaurants und Bars mit einem vielfältigen Angebot siedelten sich dort an. So gibt es beispielsweise die Wunderbar bereits seit 1995 und das gegenüberliegende Lupus hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten stetig vergrößert. Die Beliebtheit der 90er und 00-er Jahre, an denen abends, insbesondere am Wochenende die Kneipenmeile überfüllt war mit Wolfsburger Nachtschwärmern ist zurückgegangen, dennoch bietet der Kaufhof eine Vielzahl an Möglichkeiten drinnen wie draußen zu essen, zu trinken und zu feiern. Gerade zu großen Sportereignissen, dem Kaufhoffest oder an sonnigen Tagen zieht es die Leute auch weiterhin in die Passage, die einst den Schachtweg ablöste.

Infobox 

Weitere spannende Informationen zu Wolfsburgs Vergangenheit und Gegenwart erhältst du während einer individuellen Gästeführung durch Wolfsburg. Melde dich einfach in der Tourist-Information im Hauptbahnhof oder schau online unter www.wmg-wolfsburg.de 

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