Was bedeutet eigentlich Gleichstellung? Gibt es Unterschiede bei der Gleichstellung von Frauen und Männern? Warum ist Gleichstellung im Jahr 2021 überhaupt noch ein Thema? Und wieso ist geschlechtergerechte Sprache wichtig? Nur wenige Dinge werden wohl so leidenschaftlich, öffentlich und auch kontrovers diskutiert wie das Thema Gleichstellung. Insbesondere die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Um der Ursache auf den Grund zu gehen, und herauszufinden, warum die Thematik auch im Jahr 2021 so wichtig ist, haben wir uns mit Antje Biniek, Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Wolfsburg, getroffen.  

Chancengleichheit und Gleichberechtigung für alle

Doch was ist denn überhaupt Gleichstellung? Per Definition ist Gleichstellung als eine „Angleichung der rechtlichen und sozialen Verhältnisse einer Person oder Gruppe mit anderen, vergleichbaren Personen oder Gruppen“ zu verstehen. Doch wie ist es um die tatsächliche Lage von Gleichstellung in Deutschland bestellt? Laut Bundesregierung ist die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht. An der tatsächlichen, alltäglichen Gleichstellung würde man noch arbeiten – da scheint noch Luft nach oben zu sein. 

Eine ähnliche Auffassung hat auch Antje Biniek. Die gebürtige Wolfsburgerin ist Teil des Gleichstellungsreferates der Stadt Wolfsburg, das sich nicht nur innerhalb der Verwaltung, sondern auch in der Stadtgesellschaft für die Gleichstellung und Chancengleichheit aller Geschlechter einsetzt. Dabei beginnt ein ebenbürtiger Umgang, der alle Geschlechter berücksichtigt, mit geschlechtergerechter Sprache: „Die Stadt Wolfsburg verwendet vorrangig geschlechterneutrale Personenbezeichnungen und, wenn es die Satzstellung nicht anders erlaubt, das Gendersternchen“, weiß die 30-jährige Wolfsburgerin, die sich für eine Etablierung geschlechtergerechter Verwaltungssprache einsetzt und ergänzt: „Die Stadt Wolfsburg ist eine Dienstleisterin für alle Bürger*innen. Es sollte sichtbar sein und sprachlich transportiert werden, dass die Angebote und das Engagement sich entsprechend auch an alle Menschen richtet, die in dieser Stadt leben. Unser Anliegen ist es ebenfalls, Minderheiten sichtbar zu machen, sie dadurch an den Tisch der Debatten zu holen und im Diskurs berücksichtigen. Sprache ist Macht: Wer nicht genannt oder angesprochen wird, der bleibt unsichtbar“. 

Mit geschlechtergerechter Sprache ist die Arbeit des Gleichstellungsreferates noch lange nicht getan. „Frauen sind massiv von struktureller Diskriminierung und Benachteiligung betroffen. Der Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gender Data Gap und Gender Pension Gap sind in diesem Kontext die wohl bekanntesten nachgewiesenen Formen von geschlechterspezifischer Ungerechtigkeit“, weist Antje Biniek auf die Situation auf Bundesebene hin.  

Diversity beim VFL Wolfsburg
Trikot des VFL Wolfsburgs: Diversity zur Chance. Foto: FLOW WOLF

Gleichstellung für alle? 

Casus knacksus Gleichstellung – werden jetzt die Männer benachteiligt? Einige Bürger*innen sind der Überzeugung, dass das Gleichstellungsreferat nur im Sinne der Frauenförderung tätig ist. Dieser Auffassung kann die engagierte Gleichstellungsbeauftrage widersprechen und erklärt, warum wir für aktive Gleichstellungsarbeit alle an einem Strang ziehen müssen: „Ich bin der Überzeugung, dass wir es ohne die Männer nicht schaffen werden. Wenn wir nachhaltig gesellschaftliche Veränderungen wollen, müssen sich Männer ihrer Privilegien und Machtpositionen bewusstwerden und dazu bereit sein, diese teilweise ab bzw. aufzugeben. Ich denke, dass wir an dieser Stelle alle Multiplikator*innen brauchen, eben auch männliche Multiplikatoren“.  

Darüber hinaus setzt sich das Gleichstellungsreferat der Stadt Wolfsburg für die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf ein, fördert Frauen in handwerklichen und MINT-Berufen und versucht, grundsätzlich festgefahrene Geschlechterstereotypen und Rollenklischees aufzubrechen. So organisiert das Team um Antje Biniek auch regelmäßig Aktionen anlässlich des Internationalen Frauentags oder der Wolfsburger Woche für Vielfalt und Toleranz. Bürger*innen sind jederzeit herzlich eingeladen mitzumachen oder sich ehrenamtlich zu engagieren.  

Antje Biniek im Interview
Antje Biniek im Gespräch mit Nele Pape. Foto: WLOF WOLF

Häusliche Gewalt 

Ein Thema liegt dem Gleichstellungsreferat der Stadt Wolfsburg besonders am Herzen: die Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Seit Jahren steigen die Fallzahlen von häuslicher Gewalt und Gewalt an Frauen in Wolfsburg. Mit Aktionen wie dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen „Orange your City“ oder der Kampagne „Schau nicht weg“ möchten Antje Biniek und ihre Kolleg*innen das Thema enttabuisieren und Zivilcourage fördern: „Die Unterstützung durch das nachbarschaftliche Umfeld ist ganz wichtig. Wenn man etwas mitbekommt und die Situation eventuell nicht richtig einschätzen kann, dann sollte man lieber einmal mehr den Notruf wählen. Häufig sind die betroffenen Personen nicht in der Lage, alleine einer gewaltvollen Beziehung zu entkommen – da zählt jede Unterstützung.“ 

Wenn du selbst von häuslicher Gewalt betroffen bist oder in deinem Umfeld darauf aufmerksam geworden bist, gibt es zahlreiche Hilfsangebote, die dir vor Ort oder telefonisch zur Seite stehen. Das Thema häusliche Gewalt ist kein Tabu und betrifft sowohl Männer, Frauen als auch Menschen ohne binäres Geschlecht – du bist nicht allein.  

Tipps für den Alltag 

Auch im Alltag lässt sich ein Bewusstsein für Chancengleichheit und Gleichstellung für alle Geschlechter schaffen. So schlägt Antje Biniek vor, einfach mal das eigene „Schubladendenken“ zu hinterfragen. Müssen Mädchen die Farbe Rosa und lange Haare tragen? Können nicht auch Jungs Frauen als Vorbilder wählen? Und andersrum genauso – können nicht auch Jungs Rosa und lange Haare tragen? Und können nicht ebenso Mädchen männliche Vorbilder wählen? 

Auch „kleine bewusste Entscheidungen“, wie sexistische Sprüche und Witze nicht mehr hinzunehmen oder geschlechtsgerechte Sprache zu nutzen, helfen Chancengleichheit und Gleichberechtigung für alle Geschlechter zu normalisieren und zu etablieren. Letztendlich liegt es in unserer Hand, Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes zu vermeiden und Gleichberechtigung für alle Bürger*innen zu schaffen – denn alleine erreichen wir wenig, gemeinsam erreichen wir so viel mehr.