Grenzenloses Staunen
„phaeno. Da staunst du“, heißt der Leitsatz des Science Centers. Kurz, knackig, einprägsam. Jedoch worüber sollte man zuerst staunen? Etwa über die innovative Architektur von Zaha Hadid, die berühmt dafür ist, dass ihre Entwürfe als beinahe unmöglich zu verwirklichen gelten? Etwa über die 350 Exponate, die auf einer über 9.000 qm² großen Aktionsfläche zum Anfassen bereit stehen? Etwa über den sechs Meter großen Feuertornado, über die Magnetschwebebahnen oder über andere Phänomene, an denen die Kraft der Natur und der Fortschritt der Technik auf die Probe gestellt werden können?
von Dora Balistreri
Nach einem erweiterten Kulturverständnis, in das nicht nur die Künste, sondern auch die Naturwissenschaften sowie die Technik mit einbezogen werden können, wird das phaeno, das in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag feiert, als interaktives Museum begriffen. Das Science Center ist dabei nicht nur zu einem Markenzeichen in der Wolfsburger Kulturlandschaft geworden, sondern genießt bundesweite Bekanntheit und Anerkennung.
„Das Science Center ist dabei nicht nur zu einem Markenzeichen in der Wolfsburger Kulturlandschaft geworden, sondern genießt bundesweite Bekanntheit und Anerkennung.“ Dora Balistreri
Jedoch beschränken sich die Besonderheiten des phaeno nicht nur auf die verschiedenartigen Exponate. Betritt man das Gebäude, begegnet man einem Publikum, welches in solch einer Vielfalt in kaum einer anderen Einrichtung zu finden ist. Wer sich jemals mit wirtschaftlichen Prozessen und Marketingstrategien beschäftigt hat, weiß genau, dass durch ein bestimmtes Angebot in der Regel nur eine Zielgruppe angesprochen wird. Im phaeno aber funktioniert es anders: Hier fühlt sich jeder, wie etwa Kindergartengruppen, Schulklassen, Familien, Jugendliche, Auszubildende sowie Studenten und Senioren von den Exponaten, die für die unterschiedlichen Ausstellungen aufgebaut werden, angesprochen. Die Besonderheit der Ausstellungen im phaeno besteht in dem „Aha-Effekt!“, der durch das Anfassen und das Ausprobieren der Exponate erreicht wird. Außerdem gibt es immer wieder Exponate, die sich nur mit der Hilfe von Jung und Alt bewerkstelligen lassen. Genau in dieser Selbsterfahrung, oft geknüpft an einem Gemeinschaftserlebnis, durch welche das Publikum naturwissenschaftliches Wissen überprüfen oder neue technische Kenntnisse gewinnen kann, liegt der Unterschied zu etwa klassischen Kunstinstitutionen, in denen die wichtigste Regel „Bitte nicht berühren!“ lautet. Durch diese offene Herangehensweise können zahlreiche Menschen aus verschiedenen Milieus und mit unterschiedlichen Lebensstilen für Technik und Naturwissenschaften neugierig gemacht werden.
Ein weiteres Phänomen des phaeno besteht in der stetigen Verbindung zwischen Natur und Kultur. Dies sind zwei Begriffe, die in vielen geisteswissenschaftlichen Debatten immer noch als gegensätzlich zueinander verstanden werden. Denn während natürliche Prozesse grundsätzlich gegeben sind, entstehen kulturelle Prozesse erst durch den direkten Eingriff des Menschen in die Natur. Trotz des Schwerpunkts auf die Gesetze der Natur und auf dem technischen Fortschritt unterstützt und fördert das Science Center zahlreiche kulturelle sowie künstlerische Projekte, die zwar nicht immer, aber häufig einen Bezug zu den laufenden Ausstellungen haben. Auf diese Weise schafft das phaeno Brücken zwischen technisch-wissenschaftlichen Inhalten und künstlerischen Darstellungen sowie einen Dialog zwischen naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Themengebieten. Im phaeno werden Kunst und Kultur, wie Naturphänomene auch, greifbar gemacht.
Das phaeno ist aktuell. Es bietet Einblicke in den gegenwärtigen Fortschritt der Technik. Aber nicht nur: Das phaeno ist auch allumfassend, denn es begreift Naturprozesse auch in Verbindung zu kulturellen und zivilgesellschaftlichen Veränderungen. Dies findet seinen Ausdruck vor allem in dem Science & Art Festival „Phaenomenale“, das im September dieses Jahres zum fünften Mal stattgefunden hat. Veranstaltet wurde das Festival vom phaeno gemeinsam mit drei Kulturinstitutionen der Stadt Wolfsburg, nämlich dem unstverein, dem Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation und dem Kulturwerk. Neben Vorträgen von Fachleuten aus Technik und Naturwissenschaften fanden etwa 40 abwechslungsreiche Kulturveranstaltungen statt, welche alle unter dem Motto „Das Geheimnis…“ standen. Dieses war inspiriert von den Privatsphärenskandale, den Spionageaffären und den Verschlüsselungstechniken, die in den letzten Monaten einen großen Platz in unseren Medien eingenommen haben.
Die Phänomene des phaeno sprengen alle Grenzen. Seit der Eröffnung vor 10 Jahren hat das Science Center nicht nur Technik und Naturwissenschaften populär vermittelt, sondern sich zu einem Ort der Begegnung und des technisch-künstlerischen Dialogs für Wolfsburg und der Region entwickelt. Ganz im Sinne Humboldts erfolgt die Bildung des Menschen hier allein durch eins: durch die Selbsterfahrung.
Seit dem 3. Oktober 2015 können sich die phaeno-Besucher auf eine neue Erlebnisreise machen. Die neue Sonderausstellung „MechanixX“ beinhaltet alles, was mit Mechanik zu tun hat. Aber nicht nur. Balancieren, Jonglieren und Jo-Jo-spielen gehören auch dazu. Auf spielerische und kreative Art können sich Jung und Alt physikalische Gesetze erschließen. Dafür wächst das phaeno erneut über sich hinaus. Bei dieser Ausstellung können die Besucher nämlich ein Auto mit einem Flaschenzug hochziehen, eine rhythmische Ballwelle choreografieren sowie vieles mehr. Und die Verbindung zwischen Natur und Kultur? Die findet natürlich auch hier wieder statt. Denn unter den 45 neuen Exponaten, die für „MechanixX“ aufgestellt werden, finden sich 16 – na, was denn sonst? – Kunstwerke natürlich!