Die Corona-Pandemie hat uns auch nach einem Jahr weiterhin fest im Griff. Vieles ist nicht mehr wie früher und einiges hat sich verändert. So auch die Art und Weise wie wir Kunst konsumieren. Denn ein Lockdown während einer Pandemie bedeutet keinesfalls den völligen Verzicht auf Kunst und Kultur. Das Kunstmuseum Wolfsburg und der Kunstverein in Wolfsburg sind 2020/2021 neue Wege gegangen.
Not macht erfinderisch
Leer gefegte Straßen, verlassene Geschäfte und geschlossene Museen – so hieß es 2020 in Deutschland gleich zweimal Lockdown mit strikten Maßnahmen, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen. Dies führte zu einem kompletten Besucherstopp und brachte den öffentlichen Kunstkonsum vorerst zum Erliegen.
Das waren harte Schläge für die Kulturbranche, doch aufgeben war nie eine Option. „Nur weil die Museumstüren geschlossen sind, heißt es nicht, dass der Museumsbetrieb schläft“, betont Katharina Derlin, Pressesprecherin des Kunstmuseum Wolfsburg. Die Kulturbranche fand neue Mittel und Wege und drehte den Spieß sogar gänzlich um: Wenn Wolfsburger und Wolfsburgerinnen ihre Lieblingseinrichtungen nicht mehr besuchen können, muss die Kunst eben nach Hause kommen.
Digital in aller Munde
Der erste Lockdown hat die Ausstellungsplanung bereits sehr beeinflusst und bot Gelegenheit, für weitere Ausnahmesituationen zu planen. Ursprünglich sollte die derzeitige Ausstellung „In aller Munde. Von Pieter Bruegel bis Cindy Sherman.“ vom 31.10.2020 bis zum 09.04.2021 gezeigt werden – sie wurde aber in Hinblick auf den langen Lockdown bis zum 06.06.2021 verlängert. Doch kurz nach dem Eröffnungswochenende, welches über 1.000 Gäste in die Hallen des Kunstmuseums lockte, folgte der zweite Lockdown.
Das Team des Kunstmuseums reagierte souverän und verwirklichte ein Curatorial für Zuhause mithilfe der Stadt Wolfsburg und der Agentur MSCG. Kunstliebhaber können fortan mittels eines interaktiven Formates die Ausstellung von Zuhause aus genießen. Dafür muss lediglich der Link www.kunstmuseum.de/inallermunde aufgerufen werden und schon geht es auf der Website des Kunstmuseums los! Besucher und Besucherinnen können sich durch 12 Kapitel mit tollen Bild- und Textbeiträgen rund um die Ausstellung klicken. Hierbei entscheidet jeder individuell, wie lange er verweilt und wie tief er in die zahlreichen Inhalte eintaucht.
Eine zahnärztliche Idee
Thematisch trifft die Schau im wahrsten Sinne des Wortes den Zahn der Zeit. Wann war die Mundhöhle jemals derartig präsent? Die ursprüngliche Idee stammt von Zahnärztin Beate Slominski und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Hartmut Böhme, welche vor drei Jahren an Kuratorin Dr. Uta Ruhkamp herantraten. Dennoch hätte damals niemand ahnen können wie aktuell und passend das Thema zum Zeitpunkt der Ausstellung sein würde.
So wurde die zahnärztliche Idee zur bislang umfassendsten Themenausstellung zu oralen Motiven der Kunst in Deutschland mit über 300 Exponaten entwickelt. Mund, Lippen, Zunge, Zähne, Sprache, Schmerz, Essen, Lust und Leidenschaft sind nur einige Begriffe, die Kunstliebhaber in Werken von der Antike bis zu Gegenwart von Künstlern und Künstlerinnen wie Albrecht Dürer, Pablo Picasso, Andy Warhol oder Louise Bourgeois wiederfinden. Wem das immer noch nicht reicht, der kann auch einen Blick in die umfassende und reich bebilderte Publikation werfen, welche begleitend zur Ausstellung In aller Munde veröffentlicht wurde.
Instagram Live Talk
Wem das Curatorial und die Publikation nicht ausreichen, der kann an den regelmäßigen Insta Live-Talks des Kunstmuseums Wolfsburg teilnehmen. Am 27. Januar 2021 fand beispielsweise eine digitale Führung von Dr. Uta Ruhkamp durch die aktuelle Ausstellung statt, bei der Interessierte parallel Fragen stellen konnten. Zudem wird einmal wöchentlich ein Clip bei Instagram und Facebook veröffentlicht, indem nette Anekdoten erzählt und Blicke behind the scenes ermöglicht werden.
Darüber hinaus wird das Kunstmuseum Wolfsburg weitere kostenlose Online-Führungen im März 2021 anbieten, zu denen man sich ein Zoom-Ticket buchen muss. Um gemeinsam kreativ zu werden, bietet das Kunstmuseum zudem unregelmäßig Workshops für Kinder und Erwachsene an, die die Künstlerin Elisabeth Stumpf anleitet. Termine erfährt man auf der Website unter www.kunstmuseum.de/kalender. Kunst für alle – nur eben digital.
LieferArto – Vom Home Office zur Home Gallery
Eine weiße Wand, ein Bücherregal oder sogar ein verstecktes Chaos – das Homeoffice gibt einen großen Teil der Privatsphäre preis. Aber wie kann man der Wand aus der Videokonferenz einen individuellen Touch verleihen? Diese Frage stellte sich auch Dr. Justin Hoffmann, Leiter des Kunstvereins Wolfsburg.
Aber die Pandemie öffnet nicht nur Türen zu unbekannten Arbeits- und Wohnzimmern, sondern verschließt ebenso viele bekannte, wie die der Gastronomie. Hoffmann beobachtete wie die Gastronomie reagiert und zahlreiche Restaurants Lieferdienste etablierten. So entstand die Idee zum ersten Kunstlieferdienst Deutschlands: LieferArto.
Für Freunde der Kunst
Seit Anfang Dezember 2020 können Wolfsburger, Brauschweiger und alle dazwischen sich ihre liebsten Exponate über LieferArto direkt nach Hause bestellen. Dabei können sie aus einem Repertoire an allerlei Jahresgaben wählen, welche sich seit 1959 im Kunstverein angesammelt haben. So können Freunde der Kunst zwischen Fotografie, Grafik, Siebdruck oder Gemälde wählen und das triste Home Office in eine einzigartige Home Gallery verwandeln.
Das passende Kunstwerk können sich Interessierte bequem auf der Website www.kunstverein-wolfsburg.de/shop/kategorie/jahresgabe/ aussuchen und per E-Mail bestellen. Daraufhin wird ein Termin zur Übergabe vereinbart, damit die wertvolle Fracht anschließend bis vor die Haustür geliefert werden kann.
Präsenz zeigen – nur eben online
Auch der Kunstverein geht auf verschiedenen Kanälen, wie Facebook, Instagram und YouTube, vermehrt digitale Wege. Um einen Vorgeschmack auf die kommenden Ausstellungen Too much power (too little power) und Gilta Jansen (Raum für Freunde) zu erhalten, können sich Kunstliebhaber im Vorfeld ausdrucksstarke Trailer auf den Kanälen des Kunstvereins ansehen. Falls der Lockdown länger andauern sollte, plant das Team um Justin Hoffmann kurze Gespräche mit den Künstlern und Teilnehmern auf den Plattformen zu zeigen.
Wie kann man Lockdown und Pandemie sonst noch künstlerisch überbrücken?
Ausnahmesituationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Wie kann man noch die Zeit in den eigenen vier Wänden gestalten? Und wie schafft man es noch während des Lockdowns nicht auf Kunst in Wolfsburg verzichten zu müssen?
„Auf jeden Fall schauen, was die Häuser, die man gerne besucht, digital anbieten. Der Kunst- und Kulturbetrieb hat hier wahnsinnig vielfältige Angebote im vergangenen Jahr entwickelt, da steckt viel Arbeit und Liebe drin. Oder man überbrückt die Zeit mit guten Büchern, die die Museen ja ebenfalls herausgeben“, empfiehlt Katharina Derlin.
Auch Justin Hoffmann verweist auf das umfassende mediale Angebot sowie die digitalen Angebote der Ausstellungshäuser und Museen. „Es ist eine Zeit, in der man selber Kunst machen könnte oder anfängt, selbst Kunst zu machen. Jetzt hat man die Ruhe und Muße sich selber auszuprobieren“, schlägt der Leiter des Kunstvereins vor.
Katharina Derlin und Justin Hoffmann sind sich einig – der Konsum von Kunst ist während der andauernden Pandemie nicht gänzlich unmöglich. Vielleicht ist der Genuss von Kunst in Wolfsburg anders als zuvor und auch gewissermaßen eingeschränkt. Doch dank zahlreicher kreativer und innovativer Ideen ermöglichen das Kunstmuseum und der Kunstverein den Wolfsburgern weiterhin einen (digitalen) Kunstgenuss. NP