MC-MyChoice#4 – über die Entstehung einer eigenen Ausstellung, von Dora Balistreri, Kulturbüro der italienischen Konsularagentur Wolfsburg.

Mein Handy klingelte, es war Marcus Körber, der mich anrief.

„Möchtest du eine eigene Ausstellung kurieren?“

„Gerne, Marcus, aber ist das nicht eigentlich dein Job?“

Er lachte.

Natürlich, schließlich sei er der Kurator der Städtischen Galerie Wolfsburg.

„Es geht um MC-MyChoice, Dora, ich suche eine Gastkuratorin für die vierte Auflage.“

Ich hatte über diese innovative Ausstellungsreihe bereits in der Zeitung gelesen. Die Idee, Menschen stärker in die Städtische Galerie einzubinden, andere Wege der Interaktion mit der städtischen Sammlung zu ermöglichen, Besucher*innen intensiver zu beteiligen, Kunstvermittlung neu zu definieren, hatte mich von Anfang an begeistert. Der Ansatz dieser experimentellen Kulturarbeit war mir aus meinem eigenen Berufsumfeld nicht ganz unbekannt: Auch die Italienische Konsularagentur in Wolfsburg möchte mit ihrem Kulturbüro und durch partizipative Projekte, den interkulturelle Dialog innerhalb der Stadtgesellschaft fördern sowie Zielgruppen wie Schüler*innen oder Mitglieder der italienischen Community stärker einbinden, ja empowern. 

Marcus Koerber Noemie Adwoa Zenk Agyei Dora Balistreri
Marcus Körber, Noemi Adwoa Zenk-Agyei, Dora Balistreri (v.l.n.r.) Foto: Städtische Galerie Wolfsburg

Wie kuriere ich eine Ausstellung?

Als ich zum ersten Mal das Archiv der Städtischen Galerie im Wolfsburger Schloss besuchte, wurde mir bewusst, worauf ich mich eigentlich eingelassen hatte: Noch nie zuvor hatte ich so viele Kunstwerke auf einmal gesehen, noch nie solche Berge an Kataloge.

Eine Ausstellung zu kurieren – was bedeutet das überhaupt? „Stelle dich vor dem Kunstwerk und hör’ auf zu denken – was fühlst du?“, fragte mich Marcus. Kunst ist eine Frage der Emotion, des Gefühls, des Gespürs.

Die eigene und die kollektive Identität

In enger Zusammenarbeit mit der Städtischen Galerie Wolfsburg und insbesondere mit Marcus Körber, der mich als Coach durch diese einzigartige Erfahrung begleitet hat, ist schließlich eine sehr persönliche Ausstellung entstanden, MC-My-Choice#4: Eine Frage der Identität. Als Oberthema hat sich das der Identität – sowohl der eigenen persönlichen, als auch die Frage einer kollektiven Identität – herauskristallisiert.

MC-MyChoice#4 Austellungsraum
Blick in den Ausstellungsraum. Foto: Städtische Galerie Wolfsburg

Die Kunst wirkte dabei wie ein Fenster zu einer tieferen Dimension: Schon beim ersten Betrachten der Werke stellten sich mir Fragen, die Erinnerungen und Empfindungen auslösten, aus denen sich wiederum neue Fragen ergaben, über meine Person, meine Herkunft und meine Wahrnehmung. Besteht unsere Identität ebenfalls aus vielen, auf den ersten Blick nicht zueinander gehörenden Facetten wie Michael Buthes Collage? Was haben Thomas Bayrles Kaffeetassen eigentlich mit Stereotypen und Vorurteilen zu tun? Entspricht Heinrich Heidersbergers Blick auf das Kraftwerk auch meine Sicht auf Wolfsburg? Hinterfragen wir unser Handeln so gründlich wie Timm Ulrichs Rückseitenbild? Und tragen wir in der Gesellschaft, wie bei Jim Dines Werk, eine Maske aus Angst uns abzugrenzen oder aufzufallen?

Kunst, Indentiät, Diversität und Dialog

Die Ideen und Fragen, die aus der Beschäftigung mit der Kunst resultierten, stellten sich oft zu unerwarteten Zeitpunkten ein, die ich dann als Notizen oder Wortfetzen, teils auf der Rückseite von Kassenzetteln, Servietten oder Post-Its protokollierte.

Ich wollte im Flow bleiben, auch nachdem die Auswahl der Kunstwerke festgelegt worden war. Ich wollte das Gespräch auch außerhalb der Schlossmauern suchen, die Diskussion mit anderen Wolfsburger*innen fortsetzen, mich mit ihnen über ihre Identität, ihre Werte, ihre Geschichte, ihre Interpretation der Werke und ihre Sicht auf die noch junge Stadt Wolfsburg austauschen. Was hat Kunst mit Identität, Diversität und Dialog zu tun?

Dialog über Post-it
Über Post-Its können sich die Besucher in der Ausstellung beteiligen und auch Dennis Weilmann verewigte seine Assoziation mit dem „Dialog“ Foto: Städtische Galerie Wolfsburg

MC-My-Choice#4 in der Städtischen Galerie Wolfsburg

Gemeinsam mit den Gästen, die Marcus Körber und ich anschließend auf dem Sofa in Dein Raum der Städtischen Galerie zu einzelnen Video-Talks – und dank der medialen Beratung und des technischen Supports von Viktoria Bethmann – begrüßt haben, sind persönliche und aufschlussreiche Unterhaltungen entstanden. Zu den Wolfsburger Stimmen gehören die Studentin Noemi Adwoa Zeng-Agyej, Devah Falcone vom Verein „Bildung für Kinder in Afghanistan e.V.“, Dr. Marc Philipp Westphalen Martìnez, Mitarbeiter der Volkswagen AG, sowie der neue Konsularagent der Italienischen Republik, Fabio Dorigato.

Um auch mit den Besucher*innen der Ausstellung in Dialog zu bleiben, werden die Talks während der Dauer der Ausstellung in den Social Media Kanälen sowohl der Städtischen Galerie als auch der Italienischen Konsularagentur veröffentlicht.

Alle diejenigen, die persönlich in die Ausstellung MC-MyChoice#4 der Städtischen Galerie Wolfsburg kommen, sind herzlich eingeladen, in den Galerieräumen sich ihre eigenen Fragen zu stellen oder auch Antworten zu den Themen Identität, Dialog und Diversität zu geben, andere Perspektiven zu wagen, sich vielleicht in dem einen oder anderen Gedanken wiederzuentdecken – also in die Erfahrungen einzutauchen, welche ich durch die Kunst der städtischen Sammlung selbst machen konnte.

Fakten

Ausstellung: MC-MyChoice#4, Städtische Galerie Wolfsburg
Kooperationspartner: Italienische Konsularagentur Wolfsburg
Gastkuratorin: Dora Balistreri
Dauer: 23. März – 25. Juli 2021