Ich treffe Sebastian Fork, den Inhaber des Amsel Café, an einem Vormittag im Spätsommer. Während deutschlandweit mehrere Tausende Menschen beim Klimastreik 2021 demonstrieren, haben wir uns verabredet, um über ein wichtiges Thema zu sprechen, das sich unmittelbar und positiv auf das Klima auswirkt: Nachhaltigkeit.
Das Amsel Kaffee bringt sich lokal und regional nachhaltig ein
Das Café ist gut besucht; es sitzen Gruppen verschiedenen Alters an den bunt zusammengewürfelten und gemütlichen Tischen zusammen – im Übrigen sind alle Möbelstücke bereits gebraucht und wurden über eBay Kleinanzeigen gekauft oder sind Spenden von Kunden. Am Tresen sind ebenfalls Gäste, die Amsel Kaffee als Bohnen oder gemahlen mitnehmen möchten oder in der to-go Variante mit einem Stück hausgemachten Kuchen.
Weggehen oder etwas ändern
Sebastian erzählt mir, dass er nach dem Abitur aus Wolfsburg raus wollte. Doch nach einiger Zeit an anderen Orten, nach dem Studium, nachdem er eine Familie gegründet und beruflich Fuß gefasst hatte, zog es ihn doch zurück in seine Heimatstadt. Für seinen zweiten Anlauf in Wolfsburg sagte Sebastian sich aber: Ich kann entweder gehen oder etwas ändern – und gegangen bin ich schon mal. Jetzt muss ich etwas ändern.
Mehr als nur ein Rohkaffee Lager
Seine berufliche Erfahrung rund um die Kaffeebohne nahm Sebastian zum Anlass, sich selbstständig zu machen. Er erzählt mir, dass die ursprüngliche Idee war, Rohkaffee an kleine Röstereien zu verkaufen. Doch dazu kam es gar nicht erst. Denn die Gewerbeimmobilie, die in der Amselstraße stand, hatte neben dem perfekten Straßennamen noch so viel mehr zu bieten, als Sebastian es zunächst gesucht hat. Amsel heißt nämlich auch der Name seiner Tochter Merle auf französisch.
Auf dem Gelände und im Gebäude konnte viel mehr geschehen als die bloße Lagerung von Kaffeesäcken und so war die Idee einer kleinen Gastronomie geboren.
Das Amsel Kaffee
Röster wurden bisher keine beliefert, dafür lokale Händler, Rewe unter anderem. Durch den ausgeglichenen Mischbetrieb als Café und Rösterei ist das Amsel Kaffee nicht für die Corona-Soforthilfen qualifiziert. So wurde aus der Not eine Tugend und der Amsel Kaffee mittlerweile auch im lokalen stationären Handel zu finden.
Im Café selbst wird geröstet, es gibt Röstseminare, Events wie Lesungen und Wohnzimmerkonzerte, Spieleabende aber natürlich auch Kaffeebohnen für zu Hause oder Kaffeespezialitäten und Gebäck zum Genießen vor Ort.
Unverpackt und abgepackt
Auf Anfrage kann man sich seinen Kaffee sogar unverpackt abholen, mit dem eigenen Gefäß. Warum auf Anfrage, brennt es mir unter den Nägeln. „Wir arbeiten eng mit der Lebenshilfe zusammen und die verpacken unsere Kaffeebohnen per Hand für uns.“ Für unverpackte Kaffeebohnen brauchen Sebastian und sein Team ein wenig Vorlauf.
Die Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe ist unterdessen eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Während die Menschen, die über die Lebenshilfe beschäftigt sind, die komplexen aber zeitgleich überschaubaren Arbeitsschritte erlernen und in den Arbeitsmarkt eintauchen können, kann Sebastian lokal sozial sein und seiner Nachbarschaft und der Heimatstadt etwas zurückgeben. Einen kleinen Preisvorteil gibt es beim unverpackten Kaffee obendrein.
Zusammenarbeit mit dem Jugendhaus Ost
Auf dem Gelände im Amselweg 51 gibt es neben dem Café und einem großzügigen Außenbereich auch Werkstätten. Dort befindet sich aktuell die Holzwerkstatt des Jugendhauses Ost. Nachdem das Jugendhaus enorme Probleme beim Bezug der neuen Räumlichkeiten hatte, stellte das Amsel Kaffee seine Werkstatt als Übergangslösung zur Verfügung. Daraufhin entstand ganz natürlich eine sympathische Eigendynamik. So wurden auch die Hochbeete im Außenbereich gemeinsam gebaut, aus dem Holz der alten Terrasse des Jugendhauses.
Woher der Kaffee stammt
Unser Gespräch kommt wieder zurück zum Thema Kaffee und woher dieser kommt. Sebastian erzählt mir, dass der Rohkaffee in Hamburg bezogen wird. Dort hat er Kontakte und weiß, woher sein Kaffee kommt. Denn die Philosophie hinter dem Amsel Kaffee ist: „Wir wollen wissen, wo der Kaffee herkommt, und das schaffen wir auch in 80 % der Fälle“, so Sebastian. „Einige unserer Kaffees haben auch wunderbare Geschichten an sich, unterstützen zum Beispiel Jugendprojekte. Wir wollen aber unsere Produkte nicht nur aufgrund von gewissen Schlagwörtern verkaufen. Der Kaffee soll in erster Linie schmecken. Dass die Arbeitsbedingungen gut sind, wäre im Idealfall eine Selbstverständlichkeit“, setzt Sebastian fort.
Nachhaltigkeit auch in der Backstube
„Der nachhaltige Grundgedanke, der Leitfaden, ist eigentlich eher ein Gefühl“, sagt Sebastian und erzählt dann weiter, dass im oberen Stockwerk noch eine Backstube ist. Dort wird alles selbst gebacken und das Team versucht nachhaltig und nur Bio-Produkte einzukaufen.
Das Mehl wird zum Beispiel in einer Bio-Mühle im Harz bezogen. Die Milch kommt aus Groß Sisbeck, vom Milchbauernhof Gehrke, der auch viele Kindergärten in der Region beliefert. Die Eier zum Backen sind Löhmanns Landeier aus Süpplingen.
„Wir kümmern uns darum, dass alle unsere Produkte eine Geschichte haben. Wir backen nicht nur, wir beschäftigen uns auch damit“, erzählt Sebastian weiter. Er versucht zwar so gut es geht regional und zugunsten der Nachhaltigkeit zu agieren, aber nicht um jeden Preis.
„Ja, unsere Produkte kosten etwas Geld, weil sie es aber wert sind und das wiederum zieht interessante Leute an“, schließt Sebastian unser Gespräch ab. Ich schaue mich noch einmal im Café um und muss zustimmen. Das Amsel Kaffee ist eine nachhaltige Bereicherung für Wolfsburg. JK