Stoffe übten bereits in der frühen Kindheit eine besondere Wirkung auf Carmen Martini aus. Mit neun Jahren begann sie ihre Karriere als Schneiderin, indem sie ihre alte Kleidung auseinander schnitt, um zu lernen, wie sie ursprünglich zusammengenäht wurde.
Die Kunst des Schneiderns
„Wenn ich Stoffe gesehen habe, war das etwas Besonderes“, beschreibt Carmen Martini ihre Erinnerung an die ersten Versuche in der Kunst des Schneiderns mit neun Jahren. „Ich schnitt die Ärmel meiner alten und kaputten Klamotten auf, um zu sehen, wie das Schneidern funktioniert.“ Sie brachte sich das Nähen selbst bei und bestückte zunächst ihre Puppen mit handgenähten Kleidern. „Ich habe damals nur lange Kleider gemacht, am besten mit einer Schleppe. Und ich benutzte nur bunte Farben“, erzählt sie. Die Begeisterung aus einfachen Stoffen schöne Kleider zu kreieren, ließ sie fortan nicht mehr los. Mit zwölf belegte sie einen Anfängerkurs für das Nähen, welcher in der Schule angeboten wurde. „Ich war dann schon sehr weit und habe viel gewusst“, sagt sie. Doch wie man Körpermaße nahm, war eine wichtige Grundlage, die sie in dem Kurs erlernen konnte. Im Vergleich dazu ist ihr aufgefallen, dass diese Fähigkeit in der deutschen Ausbildung für Schneiderei kaum vermittelt wird: „Sie können dort alle designen, aber keiner kann richtig Maß nehmen.“
Hinein ins Nähvergnügen
Neben dem richtigen Maßnehmen sei außerdem wichtig zu lernen, welcher Schnitt zu welcher Körperfigur passe und welche Farben zu entsprechenden Haar- und Hauttypen. Tatsächlich hat Carmen die Erfahrung gemacht, dass man in Deutschland darauf, im Vergleich zu Rumänien, weniger Wert lege: „Hier scheint man seltener nach diesen Dingen zu fragen und zu überlegen, welche Farben und welcher Schnitt zu welchem Typ zusammenpassen. Im Verkauf sind die meisten dann nicht ehrlich zu ihren Kunden.“ In ihrer damaligen Heimat Rumänien war es ihr bereits mit zwölf Jahren möglich, neben der Schule den Beruf zu erlernen und diese wichtigen Grundlagen zu trainieren. Mit 16 erhielt sie dann den Gesellenbrief als Schneiderin und arbeitete mit vier Partnern in einem Atelier, das in einer alten Garage eröffnet wurde. Mit 21 kam sie schließlich nach Wolfsburg und arbeitete zunächst von zuhause aus als Änderungsschneiderin verschiedenen Geschäften zu. Seit sie nach Deutschland gezogen war, wuchs in ihr der Wunsch, einen eigenen Laden zu eröffnen. 2011 erfüllte er sich, als sie auf dem Weg zu einer Veranstaltung durch den Kaufhof spazierte und sah, dass dort ein Laden zu vermieten war. „Ich nahm Kontakt auf und es hat sofort gepasst“, erzählt sie. In die Selbstständigkeit zu gehen „war seitdem die beste Entscheidung meines Lebens. Ich kann mir nichts anderes für mich vorstellen.“
Handwerkskunst
Da es in Wolfsburg kaum Bedarf für maßgefertigte Kleidung existiert und die Kunden scheinbar ihr Geld lieber für Markenklamotten ausgeben, konzentriert sich Carmen Martini mit ihrem Angebot auf Änderungen, Beratung und den Verkauf von Nähzubehör und Stoffen – alles für das weibliche Geschlecht. „Besonders die Beratung wissen meine Kunden zu schätzen. Ich sage ihnen ehrlich, welche Stoffe und Farben und Schnitte zu ihnen passen“, so Carmen Martini. „Ich gebe mein Wissen vor allem gern an junge Menschen weiter.“ Diese interessieren sich dieser Tage wieder vermehrt für die Handwerkskunst. Kleidung selbst zu nähen ist aktuell für die Jugend wieder im Trend. „Es scheint, als hätte das Interesse eine Generation übersprungen.“ Welchen Tipp kann sie für das Nähen an der eigenen Maschine zuhause geben? „Heute haben die Stoffe alle sehr gute Qualität. Man kann eigentlich alles miteinander kombinieren. Nur wenn man einen dehnbaren Stoff verwendet, dann geht das nur in Kombination mit anderen dehnbaren Stoffen.“
Mehr Farbe
Vergleicht sie die Mode in Deutschland mit der in Rumänien, stellt sie fest, dass sich die Menschen in Rumänien auch für den Alltag gerne mehr herausputzen als es in Deutschland geschehe. Außerdem tendiere man in Deutschland eher zu dunklen und praktischen Klamotten. „Das finde ich schade und wünsche mir mehr Farbe“, sagt sie. Sie selbst sei stolz darauf, jeden Tag mit einem Kleid aus bunten Stoffen zur Arbeit zu kommen und damit ihre fröhliche innere Haltung nach außen zu tragen. Das Etui-Kleid zählt sie als ihr Lieblingskleid. Es passe zu allen Anlässen und komme nie aus der Mode. Man könne es in allen Farben und Varianten kreieren und sowohl für festliche als auch alltägliche Anlässe schneidern. „Mir ist es wichtig, vor allem tragbare Kleider zu nähen“, erklärt sie. „Wenn ich aus einem einfachen Stoff etwas Schönes schneidere, ist das ein schönes Gefühl.“