Im November 2021 bin ich der Liebe wegen nach Wolfsburg gekommen. Schnell fiel mir auf, dass es hier ganz schön viele Italiener gibt. Als Neuling in Wolfsburg bot es sich an, sich diesem Thema zu widmen. Passend dazu stand am 17. Januar 2022 das 60. Jubiläum der italienischen Bürger:innen in Wolfsburg an. Also machte ich mich bei kaltem Regenwetter auf den Weg zum Hauptbahnhof, wo die Jubiläumsfeier stattfinden sollte.

Während ich wartete, füllte es sich schnell unter dem Vordach des Bahnhofs. Nach und nach trafen immer mehr italienische Bürger:innen ein, begrüßten sich herzlich mit der heutzutage schon normalen Faust-an-Faust-Begrüßung. Die Stimmung war freundlich, aufgeschlossen und ich hatte das Gefühl, dass sich alle kennen und sehr erfreut sind, gemeinsam an diesem Ereignis teilzunehmen.

Beginnend mit einem Fotoshooting vor dem Einwanderer-Denkmal L’Emigrante, sprachen Zeitzeugen während der Veranstaltung über ihre persönlichen Erfahrungen. Und mittendrin war ich, beeindruckt von der Atmosphäre und dem Stolz der Anwesenden an diesem kalten Montag.

Großer Dank an die italienischen Zuwanderer

Neben Zeitzeugen wie Lorenzo Annese (Autor des Buches „Vita da Gastarbeiter“, veröffentlicht am 20. Februar 2021) und Quinto Provenziani, waren Daniela Cavallo (Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG), Gunnar Kilian (VW-Personalvorstand), Flavio Benites (erster Bevollmächtigter und Geschäftsführer der IG Metall Wolfsburg), Oberbürgermeister Dennis Weilmann (CDU), der italienische Konsularagent Fabio Dorigato (Agenzia Consolare Wolfsburg) und Peter Kassel als Ausschussvorsitzender für Migration und Integration (CDU), anwesend.

Dennis Weilmann sprach einen großen Dank an die italienische Community aus. Daniela Cavallo fuhr fort und sprach über den Einfluss, den italienische „Gastarbeiter“ auch auf die Entwicklung der Betriebsräte hatten. Durch den Einsatz von Lorenzo Annese und anderen, wurde das damalige Gesetz dahingehend angepasst, dass auch Mitarbeitende mit Migrationshintergrund aktiv an der Betriebsratswahl teilnehmen konnten. Auch Flavio Benites sprach über die wunderbare italienische Community und deren Einsatz sowie die Zusammenarbeit mit der IG Metall.

Alles in allem fällt mir auf, dass den italienischen Bürger:innen der Stadt Wolfsburg eine große Dankbarkeit entgegengebracht wird, weil Volkswagen und insbesondere Wolfsburg ohne die italienischen „Gastarbeiter“ heute nicht da wären, wo sie sind. Anschließend lud Fabio Dorigato zur fotografischen Ausstellung „Com’eravamo“ ein, welche in Zusammenarbeit mit der Stadt Wolfsburg, der italienischen Konsularagentur und der Volkswagen AG auf dem Gelände der designer outlets Wolfsburg präsentiert wird.

Um die Bedeutung der italienischen Kultur von damals und heute noch besser zu verstehen, sprach ich mit Fabio Dorigato, der seit Dezember 2020 im Amt des Konsularagenten in Wolfsburg ist, über seine Aufgaben.

Er lebt seit vielen Jahren in Deutschland und war zuletzt tätig in Berlin. Als es so weit war, Berlin zu verlassen, wurde ihm die Stelle als Konsularagenten in Wolfsburg angeboten. Er fand es sehr attraktiv, da Wolfsburg einerseits eine junge und dynamische Stadt ist, in der man was bewegen kann, und andererseits einen der weltweit größten Konzerne beheimatet.

Fabio Dorigato hat viele Projekte und Ziele, die er realisieren möchte. Eine der Prioritäten ist, die exzellente Beziehung zwischen Italien und Wolfsburg, sowie Gifhorn und Helmstedt zu pflegen und zu vertiefen.

Der Konsularagent hat es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht, die Konsularagentur und deren breites Tätigkeitsfeld den im Herbst 2021 neu gewählten Mitgliedern des Stadtrats nahezubringen, um die Zusammenarbeit möglichst effizient und effektiv zu gestalten. Ein bedeutungsvoller Bereich ist die Vermittlung der italienischen Kultur in Wolfsburg und die Stärkung des interkulturellen Dialogs zwischen der italienischen und der hiesigen Gesellschaft. Es gehört somit zu den Kernaufgaben, durch die Organisation unterschiedlicher Veranstaltungen, einen Beitrag zur kulturellen Landschaft Wolfsburgs beizutragen.

Als weiteren und außerordentlich wichtigen Punkt sieht Fabio Dorigato den Zusammenhalt der italienischen Community in Wolfsburg. Auch dank der intensiven Zusammenarbeit mit dem Wolfsburg Comites (Ausschuss, der im Ausland lebenden Italiener) möchte er eine Brücke für die Wolfsburger Italiener der ersten Generation und den jüngsten Neuankömmlingen Italiens schlagen. Das soll – je nach Pandemielage – mit einem Angebot an verschiedenen kulturellen Veranstaltungen und italienischen Sprachkursen stattfinden.

Besonders gut an Wolfsburg gefällt ihm die menschliche Dimension und die kurzen Wege, bürokratisch wie menschlich. Die Dinge laufen in Wolfsburg wesentlich schneller, Projekte können schneller umgesetzt werden und Kontakte zu den Menschen lassen sich schneller herstellen als in der Metropole Berlin. Wolfsburg befindet sich in einer Zeit des historischen Aufbruchs und das findet Fabio Dorigato sehr spannend.

Am 17.01.1962 kamen die ersten Italiener mit dem Zug nach Wolfsburg. Viele von ihnen blieben für immer.

Die Stadt Wolfsburg ist in Italien sehr bekannt, einerseits durch Volkswagen, anderseits jedoch eben auch durch die große italienische Community. Sie ist ein Beispiel für gelungene Integration, auch wenn es die Zeitzeugen anfangs nicht leicht hatten. Heute kann man sagen, dass die Integration ein voller Erfolg war und Wolfsburg auch heute noch ein Magnet für junge, hochgebildete Spezialisten aus Italien ist, insbesondere wegen der Digitalisierung und Elektromobilität.

Ursprünglich war es so geplant, dass die „Gastarbeiter“ in den 60-er Jahren nur vorübergehend in Wolfsburg bleiben und nach einiger Zeit in die Heimat zurückkehren. Doch viele sind geblieben, haben ihre Frauen und Kinder nachgeholt oder sich in deutsche Frauen verliebt und hier eine Familie gegründet. Aber woran liegt das? „Viele junge Männer sind wieder zurückgegangen, weil sie allein kamen, ohne ihre Familien. Für viele war es schwierig, sich mit der Kultur und dem kälteren Wetter zurechtzufinden. Es waren nicht wenige, die in Wolfsburg keine Perspektive sahen und den Rückweg antraten. Doch einige ergriffen die Chance, sich bei Volkswagen zu entwickeln, gründeten eine Familie und blieben. Wolfsburg wurde ihr Zuhause“, weiß Fabio Dorigato.

Mittlerweile leben die Italiener in der vierten Generation in Wolfsburg. Heute kommen sie nicht mehr nur aus Neapel oder Mailand, sondern auch aus Fallersleben oder der Kreuzheide. Orte, an denen sich ausschließlich Italiener treffen, gibt es heute nicht mehr so viele wie einst. Stattdessen gehören sie ganz selbstverständlich zum Stadtbild und haben die gleichen Interessen und Vorlieben wie ihre Gleichaltrigen. Einige ältere Italiener zieht es noch in die Porschestraße, doch diese machen lange nicht mehr den Großteil aus.

Die Stadt Wolfsburg hat auch in Italien Freundschaften geschlossen, wie mit der Provinz Pesaro-Urbino und der Stadt Popoli. Vor zehn Jahren setzte sich die Stadt Wolfsburg zudem für die Stadt Popoli ein, welche bei einem Erdbeben stark beschädigt wurde. U.a. wurde durch die Hilfen eine neue Schule erbaut, woraus schließlich diese Partnerschaft entstand.

„Durch die Pandemie hat der Kontakt leider sehr gelitten, und es steht zur Aufgabe, auch diese wieder zu verstärken und zu intensivieren“,  schließt  Fabio Dorigato  unser  sehr  sympathisches Gespräch ab.

Die Veranstaltung und das Interview haben mir schnell gezeigt, wie tief verwurzelt die italienische Kultur in Wolfsburg verankert ist und welche Bedeutung der erste Zug bis heute für die junge Stadt hat. JS