Von dem Wolfsburger Haarhaus kann man nun wirklich nicht behaupten, es sei versteckt. Direkt an der Kreuzung der Schiller- und Kleiststraße ist das Geschäft von Bernd Keller für jeden sichtbar. Doch warum haben wir uns in dieser Ausgabe unter dem Motto „Versteckt“ trotzdem für dieses Thema entschieden? 

Perückenmacher ist ein aussterbender Beruf

Das Wolfsburger Haarhaus hat keinen Grund sich zu verstecken / Foto: FLOW WOLF
Das Wolfsburger Haarhaus hat keinen Grund sich zu verstecken / Foto: FLOW WOLF

Versteckt sind in diesem Fall tatsächlich die Kunden. Perückenmacher, wie Bernd Keller einer ist, sehen sich bei ihrer Arbeit täglich mit einem sensiblen Thema konfrontiert. Diskretion ist hier das Zauberwort. Hier Kunde zu sein, wird nicht an die große Glocke gehängt, denn wer gibt schon gerne zu, ein Haarteil oder gar eine Perücke tragen zu müssen? Doch das war nicht immer so. Bernd Keller betreibt sein Geschäft nun schon seit 50 Jahren und in dieser Zeit hat sich vieles getan. Während seiner Ausbildung in den 60er-Jahren war es völlig normal, dass Menschen, die keine Haare mehr hatten, eine Perücke oder ein Haarteil bekommen haben oder dass eine Frau eine Aufsteck-Frisur trug. Heute undenkbar. „Perückenmacher sind zu Exoten geworden“, erklärt Bernd Keller daher. Mittlerweile kommen die Leute von weit her, um seine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen und das nicht nur, weil sie mit der Qualität seiner Arbeit zufrieden sind, sondern weil sie vor allem sein Fingerspitzengefühl schätzen. Die, die nicht gesehen werden wollen, begrüßt Bernd Keller am Eingang über den Hinterhof und die Vordertür ist stets verschlossen, um vor ungewünschten Blicken zu schützen. Der über 70-Jährige schätzt seine Kunden sehr.

Erfahrungen, die Gold wert sind

Seine jahrzehntelange Erfahrungen würde Bernd Keller gerne weitergeben / Foto: FLOW WOLF
Seine jahrzehntelange Erfahrungen würde Bernd Keller gerne weitergeben / Foto: FLOW WOLF

Auch wenn es mittlerweile Zeit für den wohlverdienten Ruhestand wäre, bringt Bernd Keller es nicht über das Herz, seine Kunden im Stich zu lassen. „Ich möchte mich nicht zu Hause auf die Bank setzen und warten, dass ich bald abschmiere. Das bin ich nicht“, sagt Bernd Keller lachend. Hinzu kommt, dass er keinen Nachfolger findet. Die Ausbildung zum Perückenmacher gibt es so nicht mehr. Zwar kann man sich in unterschiedlichen Seminaren zusätzliche Kenntnisse zur Frisörausbildung aneignen, doch meist gehen diese nur ein paar Tage oder Wochen. Kein Vergleich zu der Ausbildung, die der Wolfsburger Perückenmacher genossen hat. Früher wählte man bei der Frisörausbildung zwischen zwei Richtungen: Frisör/Kosmetik oder Frisör/Perückenmacher/Theaterfrisör. Bernd Keller absolvierte sogar beide und hängte noch seine Meisterausbildung hinten dran. Als er am Theater arbeitete, fertigte er Perücken im Marie-Antoinette-Stil, die dreimal so groß waren wie der eigene Kopf. Doch so etwas wird heute nicht mehr gemacht – weil es keiner mehr kann. Das Können, das Wissen, aber auch die Zeitgeschichte werden in der Berufsschule nicht mehr gelehrt, erklärt uns der gelernte Perückenmacher. „Das sind Erfahrungen, die kann mir keiner nehmen.“ Erfahrungen, die er gerne an jemanden weitergeben würde, denn diese Branche macht einfach vor niemandem Halt – ob arm oder reich, ob alt oder jung.

Glückliche Kunden

Perücken, die zu strahlenden Kunden finden / Foto: FLOW WOLF
Perücken, die zu strahlenden Kunden finden / Foto: FLOW WOLF

Doch Bernd Keller hilft nicht nur Menschen, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlen. Auch von Krankheit Betroffene kommen hierher. „Was ein bisschen an die Nieren geht, wenn man Menschen bedient, die eine schwere Krankheit bekommen haben, die aber das Leben noch nicht ein bisschen gelebt haben. Wenn diese Äugelein einen angucken, das ist schon traurig.“ Auch ein Grund, den potenzielle Mitarbeiter abschreckt. „Dabei ist das gar nicht so schlimm, sondern umgekehrt. Es ist schön, wenn man helfen kann und die Leute strahlend rausgehen“, sagt Bernd Keller mit einem warmen Lächeln. Gern denkt er dabei auch an einen „Notfall“ zurück, als John Lennons Perücke auf der Reise von London nach Marienborn abhandengekommen ist und er für den Auftritt schnell für Ersatz sorgen musste. Natürlich handelte es sich hierbei nur um eine Beatles-Coverband.

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