Vision digitale Bildung
Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Was sind die Konsequenzen für die betroffenen Bildungsinstitutionen? Wie geht man damit um? Welche Chancen für nachhaltige Entwicklungen ergeben sich aus der „Krise“? Die Digitalisierung der Bildungsinstitutionen in Wolfsburg nimmt Fahrt auf.
Über Skype in die Kita
Fangen wir bei den Kleinsten an, mit der Kita. Dazu sprach ich mit der Leitung der Kita Edith-Stein, Doris Heubach. Ihre Erzieher*innen gehen neue Wege in diesen ungewöhnlichen Zeiten. Der Morgenkreis findet für die Kinder nun über Skype statt. Dafür loggen sich die Eltern ein, bereiten alles vor, und die Erzieherin kann mit den Kindern über Kamera und Bildschirm sprechen. Kleine „Hausaufgaben“, sprich Anregungen zur Beschäftigung der Kinder in Form von Bastelanleitungen oder Rezepten zum Backen, werden außerdem den Eltern für ihre Kinder erteilt. Diese dokumentieren sie dann mit Foto oder Video und senden sie an die*den Erzieher*in zurück. Gespräche mit den Eltern finden ebenfalls über Skype oder Telefon statt.
Die Kita nutzt die digitalen Kommunikationskanäle, wo sie kann und unterstützt die Eltern darin, die sonst in der Kita angebotenen pädagogischen Spiele und Fördermaßnahmen selbst umzusetzen. So oder so sind die Eltern nun stärker gefordert – und das während viele von ihnen im Home-Office weiterarbeiten müssen. Den direkten Kontakt zwischen den Kindern und mit den Erzieher*innen kann Skype auf Dauer natürlich nicht ersetzen. Doch in diesem Alter sind Kinder vor allem auf ihre Eltern angewiesen. Zu einem ernsthaften Problem wird die Situation dann, wenn diese nicht in der Lage sind, die Erziehung in Vollzeit zu übernehmen.
Digitalisierung des Klassenzimmers
In der Schule sieht man sich vor ähnliche Herausforderungen gestellt: Wie den Unterricht weiterführen? Wie die Betreuung für die Kinder (vor allem in den jüngeren Klassenstufen) aufrechterhalten bzw. unterstützen? Dazu habe ich mich mit der Schulleitung des Ratsgymnasiums, Jennifer Yavuz, unterhalten. Als besonders herausfordernd „waren unmittelbar vor und während der Schulschließung die Kommunikation innerhalb der Schulgemeinschaft“, so Jennifer Yavuz. Auch hier wird verstärkt auf die technischen und digitalen Kommunikationskanäle gesetzt. „Darüber hinaus informieren wir über Lernangebote wie das Wissenskärtchen-Projekt eines unserer ehemaligen Kollegen, unterrichtsunabhängige Wettbewerbe und Linkempfehlungen des Kultusministeriums.“
Digitalisierung spielt für die Bildungsinstitutionen in diesen Zeiten eine große Rolle. Ist die Krise eine Chance, um die lang gehegten Pläne für digitale Medien in der Bildung endlich voranzutreiben? „Ich sehe digitale Bildung grundsätzlich dann als sinnvoll an, wenn sie einen Mehrwert hat“, so die Schulleiterin. „Es gibt viele digitale Tools, die eine punktuelle Bereicherung des Unterrichts darstellen, aber das Schreiben mit der Hand, das Blättern und Arbeiten in und mit einem realen Buch, das Skizzieren und Zeichnen fördern das Lernen und die Kreativität, trainieren das Gehirn. Digitale Bildung wird einen Unterricht, in welchem Menschen persönlich miteinander kommunizieren und interagieren, qualitativ nicht ersetzen können.“
Hochschulen haben Probleme
Prof. Dr.-Ing Ingo Johannsen im Studiengang Material und Technisches Design an der Ostfalia hat eine ähnliche Einstellung zur digitalen Bildung: „Hochschule ist hier ein Ort der Begegnung, an dem man sich persönlich trifft und Erfahrungen teilt. Man kann sie sicher nicht ersatzweise online schalten. In diesem System soll der persönliche Kontakt zwischen den Studierenden und zu den Dozenten wachsen. Darauf basierend kann die Digitalisierung dann sinnvoll und planmäßig als wertvolle Ergänzung eingesetzt werden.“ Vor allem die technische Lehre (oder handwerkliche Ausbildung) ist auf die Praxis in Labor und Werkstatt angewiesen. Dementsprechend stellt die Corona-Krise eine besondere Herausforderung für Berufsschulen, Hochschulen und Universitäten dar. Zwar hat die Ostfalia schnell reagiert und ein eigenes System für den Online-Unterricht installiert, doch für den Laborbetrieb und Forschungsprojekte ist die Situation nach wie vor eine Herausforderung. Die Ostfalia hat das Semester dennoch bisher nicht verschoben. „Die Studierenden sollen die Gelegenheit haben, jetzt ausschließlich online das Semester abschließen zu können.“
Trotz der Zugeständnisse und der Digitalisierung der Bildungsinstitutionen in Wolfsburg bleibt die Situation für die Student*innen problematisch, wie Stefan Schell, Masterstudent und Mitglied im Studierendenausschuss, erklärt. Nicht zuletzt leiden sie in finanzieller Hinsicht. Nicht jede*r Student*in bekommt BAföG. Und davon können nicht alle durch ihre Eltern oder Rücklagen voll finanziert werden. Sie sind auf Nebenjobs angewiesen, die sie jetzt nicht mehr ausüben können. Kredite sind möglich, aber eine ungeplante finanzielle Belastung, mit der sie dann ins Berufsleben einsteigen müssen. Hinzu kommt, dass Praktika ausfallen und sich dadurch der Abschluss verschieben kann. Außerdem sorgt die Schließung der Bibliotheken für Probleme bei Bachelor- und Masterarbeiten. Die Auswahl der Online-Bibliotheken ist begrenzt, teils ist das auf die Verlage zurückzuführen. Auch die Fernleihe ist in der ungewöhnlichen Situation nicht möglich.
Das Online-Angebot ausbauen
Die Stadtbibliothek Wolfsburg setzt dennoch ihre Energien in den Ausbau ihrer Online-Angebote, um die Schließung soweit wie möglich zu kompensieren. Der Bestand an E-Medien wird verstärkt erweitert. Dazu gehört die Beratung für Recherche über Telefon und E-Mail. Mit den Zugangsdaten erhalten die Nutzer*innen außerdem Zugriff auf Datenbanken wie Munzinger und Britannic Library.
Als Teil des Bildungshauses folgt man damit einer gemeinsamen Strategie: Den niedrigschwelligen Zugang zur Bildung trotz Schließung der öffentlichen Räume aufrechtzuerhalten. „Gerade in diesen Krisenzeiten wird Erwachsenenbildung mehr denn je notwendig“, sagt Silja Kirsch-Bronzlik, Leitung der Volkshochschule (VHS). „Die Menschen sind verunsichert, haben ein großes Informationsbedürfnis und müssen auf Falschmeldungen und in puncto Medienkompetenz sensibilisiert werden.“ Auch Merle Flemming, Leitung des Medienzentrums, sieht diesen Bedarf: „Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene verbringen viel mehr Zeit zu Hause und beschäftigen sich mit digitalen Medien. Dadurch steigt die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs damit.“
Das Bildungshaus, das beinhaltet die VHS, das Medienzentrum und die Stadtbibliothek, bauen ihre Online-Präsenz nun kontinuierlich aus: Digitale Lernprogramme, Webinare, intensivere Kommunikation mit den Lernenden. Dabei setzt man auf eine nachhaltige Entwicklung der Digitalisierung der Bildungsinstitutionen in Wolfsburg. Dr. Birgit Rabofski, Leitung des Bildungshauses unterstreicht: „Durch die jetzige Situation bekommt die Digitalisierung einen Schub, aber wir erfahren auch, wie wichtig der physische Kontakt ist, da Menschen soziale Wesen sind und daher im direkten Kontakt mit- und voneinander lernen können.“
Persönlicher Umgang kann nicht ersetzt werden
Nicht zuletzt bleibt der Zugang zur digitalen Welt vielen verschlossen. Gerade Orte wie Schulen, Universitäten und das Bildungshaus eröffnen diese Zugänge jenen, die sie zuhause nicht haben. Hinzu kommt die Unterstützung im Bedarfsfall (Wie funktioniert Google? Wie bekomme ich ein E-Book auf den Tolino?).
In der Krise werden Visionen, die überzeugte Befürwörter*innen digitaler Bildung hegen, auf die Probe gestellt. Unabhängig davon, welche „Tools“ eingesetzt werden und wie gut geschult die Pädagog*innen sind, Mensch scheint sich darin einig zu sein, dass der persönliche und direkte Austausch unter Menschen, unter Lernenden und zwischen Lernenden und Lehrenden, unabdingbar und nicht zu ersetzen ist, auch nicht mit Skype.
Es stellt sich also die Frage, wie umfangreich wollen und brauchen wir die Digitalisierung der Bildungsinstitutionen in Wolfsburg tatsächlich? Wo ist sie wirklich sinnvoll? Und wie können wir allen den Zugang ermöglichen?