Als ich das Kunstatelier Sterz betrat, war mir nicht klar, dass ich so tief in die Geschichte Wolfsburgs eintauchen würde. Nachdem ich Platz genommen hatte und von Ingrid Sterz mit leckerem Kuchen und heißem Kaffee versorgt wurde, nahm sie mich mit auf eine Reise durch die Geschichte des Ateliers.

Selber etwas herstellen

Nicht nur Kinder haben Spaß daran, etwas selber herzustellen. /Foto:FLOWWOLF 

Viele Wolfsburger*innen kennen die Familie Sterz von ihrem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt. Dort bieten sie Kindern die Möglichkeit, in ihrer mit Liebe eingerichteten Werkstatt kleine Weihnachtsgeschenke selbst zu basteln. So bereitet Ingrid Sterz beispielsweise Rohlinge aus Holz vor, die die Kinder dann auf ihre ganz eigene Art und Weise mit verschiedenstem Material in eine Prinzessin oder einen Weihnachtsmann verwandeln. Die Werkstatt bietet dabei nicht nur die Architektur, die technisch funktionieren muss, sie bildet ebenso eine soziale Skulptur, in der das Miteinander eine ebenso wichtige Rolle spielt. Denn anders als im Kindergarten oder in der Schule kommen die Kinder hier mit unbekannten Gesichtern zusammen. Doch nicht nur die Kinder blühen hier auf und lassen ihrer Kreativität freien Lauf. Die Eltern helfen und staunen über das vom eigenen Kind Geschaffene. Und auch Großeltern verirren sich gerne an den Stand der Familie Sterz. Während sie den Kleinen beim Basteln zuschauen, schwelgen sie in Erinnerungen an gute alte Zeiten, in denen sie selbst noch gebastelt haben. Und all das geschieht ganz unbewusst: „Das sollen weder Kinder, noch Eltern merken. Sie sollen einfach Lust aufs Basteln haben und zum Schluss glücklich mit einer Kleinigkeit nach Hause gehen. Wenn das der Fall ist, dann liege ich richtig mit dem, was ich tue“, berichtet Ingrid Sterz. Neben der Werkstatt gibt es dort aber noch etwas anderes zu bestaunen: Jedes Jahr führt die gelernte Lehrerin mit ganz viel Liebe zum Detail ein Märchen auf. In ihrem Märchenwagen verstecken sich dafür viele kleine Elemente, wie Puppen und Kuscheltiere, die die Geschichte zum Leben erwecken. Doch zurück ins Kunstatelier Sterz. „Ich entwerfe kleine Spielmomente oder große Spielmodelle“, so beschreibt die Künstlerin das, was einen dort erwartet – ähnlich wie auf dem Weihnachtsmarkt, wo sie auch nur ein Gerüst vorgibt, dass die Besucher selbst mit Leben füllen müssen. Sie vergleicht ihre Kunst mit einem Haus, dass von einem Architekten entworfen, aber von jemand anderem bewohnt und eingerichtet wird. Normalerweise ist der Künstler der große Überdenker, das Genie. Doch in einer Zeit, die demokratisch geordnet ist, möchte sie das ändern. „Auch Kunst muss demokratisiert werden.“ Die Gerüste, die die 76-Jährige entwirft, haben immer den Anspruch, dass man sich daran entlanghangeln und sich entwickeln kann. Grundsätzlich sind die Modelle für Jedermann geeignet. Doch gerade in das Atelier kommen auch viele Schulklassen. Denn neben aller Kunst und Kreativität kann man hier auch Geschichte hautnah erleben. Ingrid Sterz beschreibt das Konzept des Ateliers selbst als Dreifelderwirtschaft. Alle dieser Felder orientieren sich an für Wolfsburg charakteristische Gebiete. Eines davon ist der Elm. So findet man hier beispielsweise einen Hochsitz, wie man ihn dutzende Male auch im Elm wiederfindet, ebenso wie den für die Region typischen Kalksteine, die Ingrid Sterz als eine Art Mauer um den Hochsitz drapiert hat. Darin befindet sich ein alter Leinenballen, auf dem nur blaue Objekte befestigt sind, die Ingrid Sterz einmal auf der Straße gefunden hat, wie Knöpfe oder Eislöffel. All diese Dinge bilden das bereits erwähnte Gerüst, das von jedem auf seine eigene Art und Weise interpretiert und gestaltet werden kann. So kann in diesem Beispiel der Leinenballen als ein Fluss verstanden werden, der von kleinen Höhlen gesäumt wird, die aus Kalkstein bestehen.

Zurück in die Steinzeit

Kinder können sich mit den alten Steinen Kunstwerke im Kunstatelier Sterz schaffen. /Foto:FLOWWOLF

Ein weiteres Feld wurde vom Aller-Urstromtal inspiriert. Hier findet man nur Material, dass von einem Acker zwischen Tiddische und Barwedel aufgelesen wurde. Dieses Gebiet entstand vor mehr als 200.000 Jahren, als durch die Eiszeit viel Geröll aus Skandinavien hierherkam. Besiedelt wurde es in der mittleren Steinzeit, was die vielen Jagdwerkzeuge aus Feuersteinen, wie Messer, Pfeile und Harpunen, erklärt. Von der letzten Schulklasse ist hier noch ein aus diesen Steinen gelegtes Steinzeitmännchen zu erkennen. Das dritte Feld beschäftigt sich mit der jüngsten Vergangenheit Wolfsburgs. Es trägt den Namen „Erdbeerfeld zum Selberpflücken“. Den Hintergrund dafür bildet das heutige Erdbeerfeld ganz in der Nähe des Ateliers. In den 80-er Jahren wurden hier auf der Suche nach Blindgängern aus dem 2. Weltkrieg jede Menge Bombensplitter gefunden. „Das ist ein Material, das kann ich mir doch nicht einfach entgehen lassen. Das gibt es hoffentlich nie wieder“, erklärt Ingrid Sterz. So entschied sie sich erstmal nur ein Gedankenmodell zu entwerfen, bei dem die Bombensplitter und Erdbeeren immer anders gesteckt werden können, um immer andere Bedeutungen zu bekommen. Das Ergebnis einer 12. Schulklasse beeindruckte sie dabei so sehr, dass es immer noch zu bestaunen ist. Schulklassen beschreibt die ehemalige Lehrerin allgemein als dankbares Publikum, da sie meist an allem sehr interessiert sind, was eine Abwechslung zum alltäglichen Unterricht bildet.

Die Tradition fortsetzen

Seit 1990 betreibt Familie Sterz das Atelier. /Foto: FLOWWOLF

Das Kunstatelier Sterz befindet sich übrigens in einem ehemaligen Tanklager, dass 1938 gebaut wurde und danach kriegswichtig wurde, da es den gesamten norddeutschen Raum mit Flugbenzin versorgte. 1990 stieß dann die Familie Sterz auf die Räumlichkeiten und funktionierte zuerst nur die Fasshalle in das Atelier um. Zehn Jahre später erwarben sie dann noch das Gebäude nebenan, dass sie als Pension an Monteure vermieten. Unter dem Motto „Sleep&Art“ wird hier nicht nur geschlafen, sondern auch das Atelier mit seiner Kunst und Geschichte entdeckt. Immer mit dabei ist auch Peter Sterz. Beide sind ein eingespieltes Team: Sie übernimmt den kreativen und ihr Mann den organisatorischen Part. „Außerdem sind wir ein älteres Ehepaar – da ist es doch schön, wenn wir das zusammen machen“, ergänzt Ingrid Sterz mit einem Lächeln. Sollte ihr Mann es irgendwann nicht mehr schaffen, sie zu unterstützen, würde sicher eines ihrer elf Enkelkinder einspringen, um die Tradition der Familie Sterz fortzusetzen. 

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