Musizieren im Livestream
Die Wolfsburger Musikszene musste sehr kurzfristig Anpassungsfähigkeit beweisen, um trotz getroffener Schutzmaßnahmen weiterhin in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben. Wie gestaltet man nun den Musikunterricht online in Wolfsburg während der Pandemie?
Online-Musikunterricht als Notlösung
„Innerhalb von 24 Stunden sind wir auf Onlineunterricht umgestiegen“, erzählt Oliver Jensch, Inhaber der Musicus Musikschule, von der radikalen Umstellung aufgrund des Corona-Virus. Zwar konnte nicht das gesamte Musicus-Team ohne weitere Vorbereitung auf den Online-Unterricht umsteigen, dennoch bietet der Großteil der Lehrkräfte nun diese Alternative an. „Egal, ob OpenOffice, Zoom oder die Signal App. Jeder Lehrer nutzt andere Medien, angepasst an die Möglichkeiten des Schülers“, berichtet Oliver Jensch. „Professionelle Ausstattung mit einem Kondensator-Mikro, einem Mischpult und zwei Kameras wären natürlich perfekte Voraussetzungen für einen einwandfreien Onlineunterricht, aber das haben nur die Wenigsten. Ein Laptop alleine reicht aus.“ Viele Schüler nutzen dieses Angebot und begrüßen eine Ablenkung vom aktuell monotonen Alltag zuhause. Dennoch zieht die improvisierte Lösung Nachteile mit sich: Es ist zeitaufwendiger und anstrengender als klassischer Unterricht: Wer spricht und spielt wann, um sich gegenseitig nicht zu unterbrechen? War das eine falsch gespielte Note oder war der Fehler Folge einer schlechten Internetverbindung? Gerade durch das Wegfallen des Gruppenunterrichts wird der Zeitaufwand verdreifacht, ohne Steigerung der Einnahmen.
Dementsprechend wird der Onlineunterricht wohl dem klassischen Unterricht weichen, sobald eine Öffnung der Schule wieder möglich ist. Der Termin steht noch nicht fest, da eine Einzelprüfung für private Musikschulen nötig ist und ein Hygieneregeln-Konzept aufgestellt werden muss. „Das ist die Aufgabe des Musikschulenverbands. Bis dahin können wir nur abwarten.“
Begeisterung von allen Seiten
Ähnlich ergeht es der Musikschule Wolfsburg. Seit dem 23. März 2020 wird der instrumentale Fachunterricht je nach Ausstattung als Video- beziehungsweise Telefonunterricht durchgeführt. Dafür können die Dienst-Smartphones der Lehrkräfte, welche Anfang des Jahres eingeführt worden sind, genutzt werden. „Auch in den Osterferien hielten viele Lehrkräfte freiwillig den Kontakt zu ihren Schüler*innen und zeigten sich positiv überrascht von den digitalen Möglichkeiten.“
Doch nicht nur die Lehrkräfte zeigen sich begeistert: Sowohl Eltern als auch Schüler wissen das Angebot der Musikschule sehr zu schätzen. Natürlich ist der Online-Unterricht nicht gleichzusetzen mit dem direkten Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern, dennoch bietet die Musikschule hier innovative Alternativen an. Im Online-Unterricht werden Musikstücke eingeübt und die Spielfähigkeiten aufrechterhalten. Aufgrund der klanglichen Qualität während der Übertragungen sind musikalische Feinabstimmungen derzeit leider noch nicht möglich. Der Video-Unterricht ist nicht der einzige Beweis für eine Beschleunigung des Digitalisierungsprozesses. „Neben […] dem Videounterricht müssen viele Musikstücke arrangiert, gescannt, als Audio-Datei aufgenommen und mit Erklärungen und ergänzenden Videos auf digitalem Weg an die Schüler*innen kommuniziert werden“, führt Elke Wichmann aus. Unter anderem werden Videos von Lehrkräften im Elementarunterricht und den Kooperationen mit Schulen und Kitas gedreht, um diese an die Eltern beziehungsweise den Instagram-Account weiterzuleiten. Auch zukünftig will die Musikschule Wolfsburg weiterhin an der Verbesserung und dem Ausbau der digitalen Infrastruktur arbeiten. Hierzu gehören beispielsweise Tablets vom Verein der Freunde und Förderer der Musikschule oder ein leistungsfähigeres W-LAN an der Goetheschule.
Online Gesangsunterricht ist die perfekte Alternative
Obwohl Online-Coaching bis vor der Krise noch keine Option war, ist Susanne Berlin von Voice Me Up! bereits vor der Krise mit einer Website und auf Social-Media präsent gewesen. „Gedanklich habe ich mich schon länger mit dem Thema Online-Coaching auseinandergesetzt, aber aufgrund von Unwissenheit, mangelnder Zeit und vielleicht auch etwas fehlender Traute habe ich bis jetzt nie damit begonnen“, erklärt sie. Die momentane Situation fordert jedoch Kreativität: Aktuell tauscht sie sich mit Kollegen aus, nimmt an Webinaren und Tutorials teil und bildet sich in Richtung Digitalisierung weiter. Daraus zieht sie auch für sich Vorteile, denn dank der digitalen Vernetzung hat sie neue, gleichgesinnte Menschen kennengelernt.
Mit ihren Schülern testet sie nun Unterricht per Videochat, was laut Susanne Berlin genauso viel Spaß mache, wie Unterricht vor Ort. Es müssen sich lediglich beide Seiten darauf einlassen. Für viele Schüler ist das eine willkommene Alternative. Auch Susanne Berlin setzt auf diverse Software-Programme für Videoanrufe und kennt die Nachteile zum klassischen Unterricht. „Doch für Personen, die viel unterwegs sind, gesundheitliche Probleme haben oder zeitlich eingespannt sind, ist Online-Unterricht die perfekte Alternative.“ Der Vocal Coach ist sich sicher: Das digitale Leben ist ein wichtiger Bestandteil unserer Zukunft, weshalb sie auch nach der Krise weiterhin Online-Unterricht anbieten wird.
Einblick hinter die Musiker-Kulisse
Volker Rechin ist als Bassist, Songschreiber und Sänger musikalisch breit aufgestellt: Er ist Teil der Band 3 Miles to Essex, spielt Bass bei Wingenfelder sowie Norman Keil und ist aktuell mit vielen anderen Musikern im Video zum „Wahre Helden“-Song zu sehen. Öffentliche Auftritte sind auch ihm bis auf Weiteres nicht möglich. Bereits vor der Krise hat er hin und wieder Einblicke aus der Arbeit im Studio, aus dem Proberaum oder vom Soundcheck auf einer Bühne gegeben, doch aktuell macht er auf Facebook Live in unregelmäßigen Abständen um 22 Uhr eine kleines Wohnzimmerkonzert mit dem Namen „Drei Songs zur Nacht“. Volker Rechin spielt dort seine eigenen Songs und mischt diese mit Wünschen der Zuschauer seiner Live-Streams, woraus mittlerweile ein beachtliches Solo-Wohnzimmerkonzertprogramm entstanden ist.
„Das Ganze gibt nicht nur mir eine Aufgabe, sondern versüßt auch den Zuschauern den Abschluss des Tages“, schildert Volker Rechin. „Die Leute haben Zeit und Lust darauf, was unter normalen Umständen zu so später Uhrzeit vielleicht gar nicht gegeben wäre. Außerdem gibt es ihnen einen kurzen Moment der Ablenkung, die wohl jeder in dieser Zeit gut gebrauchen kann.“ Wie es zukünftig weitergeht ist für Volker Rechin unklar: „Ich freue mich auf eine Zet nach Corona, denn Live-Konzerte mit Publikum sind nicht wirklich ersetzbar, aber vielleicht wird es ja auch nach der Krise hin und wieder noch mal so etwas wie „Drei Songs zur Nacht“ von mir geben.“ Bis dahin bleibt Wolfsburg der Musikunterricht online und das Musizieren im Livestream.